Australische Auswandererbriefe (1934)/3: Unterschied zwischen den Versionen

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kräftiger aus der Gurgel heraus, aber nur deshalb, weil sie zu oft schluckten, ohne irgendeinen Bissen über die Zähne gebracht zu haben. Schandpreise seien es, die für den Stieg Leinen und Beidewand gezahlt werden. Kaum das Salz zum trockenen Brot könnten sie noch mit den Hebeln des Webebaumes herbeischassen. Gewiß, sie haben zwar noch ihr Häuschen und ein paar Morgen Land dabei. Aber, was wirft das schon ab. Die fettesten Gründe hat das Rittergut, das erntet die dicksten Kartoffeln. Und mit dem Weidegang ist es doch man auch so eine Sache. Erst kommen die Kühe und die Schweine vom Edelhof und den dicken Bauern; und dann mag der Kossate und der Häusler zusehen, wie er sein Vieh satt kriegt. Und wenn erst die Aufteilung der Gemeinschaftsweide ganz durchgeführt ist, soll der kleine Mann sich mit dem bloßen Handrücken die Nase wischen. Das war ja nun übertrieben, und viele Einsichtige oersuchten, solchem Gerede Einhalt zu bieten; aber in den Ohren der ewig Unzufriedenen klang das doch wie Musik. Und da der Zeitgeist solche Ansteckungskeime nährt und wachsen läßt, sahen die in Tucheim bald ihr eigenes Schicksal wie durch eine unheilvolle Nebelwand. Schlimm wurde es, wenn der Schuster über die Löhne der Knechte und Mägde loszog. Nach so einem Abend gab es jedesmal auf einem anderen Hof boshafte Widersetzlichkeiten gegen den Herrn und die Frau. Das war sonst nicht üblich in und um Tucheim; und selten hat wohl der Bauer die Hand gegen seinen Knecht erhoben oder die Frau alle ihre Kraft aufwenden müssen, ihren Willen gegen das, was außer ihr noch Röcke auf dem Hof trug, durchzusetzen. Nun war's noch ein Glück, daß das dienende Jungvolk zumeist aus dem Dorfe selbst und der nächsten Umgebung stammte. Wollte der Bauer sich nicht die Finger an so einem Widerborstigen schmutzig machen, so besorgte das die väterliche Faust eindringlich und ausgiebig. Und so war alles wieder in der Reihe; denn die Väter des Dienstvolkes kannten den Grund der Unbotmäßigkeit nur zu genau; und da sie überdies wußten, daß auch der Bauer nicht auf Rosen gebettet war, fielen die Faustschläge mit doppelter Wucht.
Häuslerkate bald in arge Bedrängnis kommen; und man fühlt sich durchaus geborgen, wenn es noch hinlänglich Mehlstippe mit Speck-flocken oder frisches Leinöl zu den Kartoffeln gibt.


{{NE}}Keiner hat es leicht, der Anno 1848 im Jerichowschen seinen Acker baut, nicht der adlige Grundherr, nicht der Bauer, nicht der Kossat; keinem Handwerksmann, keinem Arbeitsmann, keinem Knecht, nicht einmal dem Schuster Wagner hängt der Himmel voller Geigen. Da hat jeder Grundbesitzer noch sein gerüttelt Maß zu tragen an den Kriegslasten aus Napoleons Zeiten her. Und wenn der Schuster auf solchen Einwurf loskrakehlt, daran sei die verkehrte Politik auf dem Wiener Kongreß schuld - und hierin hat er ja wohl vollkommen recht -, so wischt das auch nicht einen einzigen Dreier weg von dem Berg Taler, die beispielsweise der Bauer zu den Entschuldungslasten der Landschaft alle Jahre viermal auf den Tisch der Steuerbehörde zu legen hat.
{{NE}}Aber dem Schuster scheint das kein lebenswertes Leben. Er weiß schöneres; er kennt das Paradies auf Erden. Ihm ist die Heimat nichts, weil seine Seele sich nicht fest mit eigener Scholle verhakeln kann. Er ist ein immer unzufriedener Nörgler, der Schlösser in die Wolken baut und anderen die Köpfe verdreht. Und eines Tages spricht er das große Zauberwort aus. Australien!


{{NE}}Da gibt es aber noch andere Dinge, von denen ein landfremder, mißvergnügter Schuster ohne eigene Scholle unter den Füßen keine Ahnung hat. Die Regelung der bäuerlichen Grundverhältnisse, die damals der Minister vom Stein staatsgesetzlich festsetzte, ist seit drei Jahrzehnten abgeschlossen. Damals hat jeder im Dorfe schwere Hypothekenlasten aufnehmen müssen, um seiner Vielfachen Zehnt-, Fron- und sonstigen Herrendienstlasten ledig zu werden. Die Väter der Männer, die jetzt auf den Höfen als ihre eigenen Herren sitzen, sind damals stolz gewesen, unwürdige Fesseln abstreifen zu können; und ihren Jungen von damals haben sie dieses stolze Kraftbewußtsein lebendig übererbt. Was da an Amortisation und Verzinsung dieser Ablösungslasten zu jedem Zahltage fällig ist, wuchtet zwar schwer auf jedem Hofe, wird aber als Ehrenverpflichtung pünktlich und vollzählig abgestoßen.
==Dorf im Auswanderungfieber==


{{NE}}Da steht denn über jedem Strohdach ein nicht allzu sonniger Himmel. Und wäre der Mensch auf Jerichower Heimatboden nicht die Genügsamkeit selbst, so würde man im Bauernhaus wie in der
{{NE}}Dem Paplitzer Kantor Meerwaldt, einem Feuerkopf von einigen dreißig Jahren, zerklirrt auf den Steinen vor dem Hause des Schulzen Taege der porzellanene Pfeifenkopf mit dem schönen Bilde, das Blücher in der Umarmung mit Wellington auf dem Schlachtfeld von Bellealliance zeigte. Er ist sprachlos darüber, was ihm der Dorfgewaltige soeben inmitten des behäbigen Gevatter-schnacks von der neuesten Marotte des verdrehten Schusters erzählt. „Du soll doch dieser und jener“, wettert er los; „ist der Mann bloß unklug, oder ist er bösartig? Hat er denn nicht ein Fünkchen deutscher Glut in seinem schwarzen Schusterherz! Will hier ehrliche, fleißige und bisher doch leidlich zufriedene Menschen oerleiten, sich von der Heimat abzuwenden. Sollen da draußen vor die Hunde gehen und den hochnäsigen Vettern jenseits des Kanals in ihrer neuesten Kolonie den Kulturdünger abgeben. Ich dächte, wir Deutschen hätten überaus genug trübselige Erfahrungen gesammelt dort drüben in Amerika, aber auch bloß als die Soldknechte Albions! Den Schuster kaufe ich mir; dem werde ich seinen Querkopf schon richtig setzen!“ Auf der Stelle dreht der Kantor um und humpelt - er lahmte schon als Junge, weil ihm beim Austreiben ein Pferd das rechte Bein angeschlagen hatte - dem Schulhause zu. Jetzt ist die Reihe zu erstaunen am Schulzen. Daß Meerwaldt plötzlich Feuer fängt und ohne sichtbaren Grund explodieren kann, weiß er aus vielfacher Erfahrung. Was ihn aber soeben aus dem Häuschen brachte, ist dem Schulzen nicht ganz klar. Mochte doch der Schuster hingehen, wo der Pfeffer wächst, und mit ihm all das unzufriedene Volk. Dann ist man eben die Unruhestifter los; und Friede ist wieder in den Dörfern.
 
{{NE}}Drüben in [[Tucheim]] gibt es auch Leute, die gegen den Schuster '''Wagner''' aufstehen. Als Meerwaldt über den Kirchhof schreitet, hört er im Pastorenhaus erregten Wortwechsel. In der verqualmten Studierstube findet er um den großen Tisch versammelt den Pastor '''Krause''', seine Kollegen, den weißhaarigen Kantor '''Marwitz''', den jungen Lehrer '''Lindstedt''', den Wirtschaftsinspektor '''Lucke''' und den Schulzen Braune. Aus Karow sind gerade zum Besuch im gastfreundlichen Pastorhaus der Kantor '''Wulkow''' und der Schulze Nickel. Meerwuldt schnappt, noch ehe er an die Stubentür klopft, einige Worte auf, die ihm die ganze Situation klarmachen. Und da es um den verdrehten Schuster geht, kann er sich alles das sparen, was er sich auf dem Wege hierher zurechtgelegt hat.
 
{{NE}}Jeder von ihnen weiß einiges vom Treiben Wagners zu erzählen. In Tucheim hat er tatsächlich schon einer ganzen Reihe von sonst so besonnenen und gesitteten Männern mit seiner Australienmarotte den Kopf verdreht. In den Familien '''Trinne''', '''Wächter''', '''Wedding''', '''Zander''', '''Flügge''', '''Elsholz''', '''Hahn''', '''Kabelitz''', '''Lenz''', '''Thiele''', '''Siebert''' und noch einem Dutzend anderer Häuser redet man schon von nichts anderem mehr als von der Fahrt über das große Wasser; und die jungen Frauen dort, die halbflüggen Mädchen und Burschen sind um verdrehtesten. Aber auch in [[Paplitz]], [[Ziesar]], [[Hohenseeden]], [[Krüssau]], in [[Genthin]] und [[Altenplathow]], sogar um [[Fischbeck|Fischbeck (bei Tangermünde)]] und [[Schönhausen|Schönhausen (Elbe)]] herum grassiert das Fieber, mit dem Wagner die ganze Heimat verseucht. „Es ist ein Volksverführer elendester Art!“ schlägt Pastor Krause die Faust auf den Tisch; „mit Vernunftgründen ist ihm nicht beizukommen. Der Kerl hat den Gottseibeiuns uns im Leibe!“

Version vom 30. November 2013, 11:23 Uhr

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Der Heimat Bild“ - Australischen Auswandererbriefen nacherzählt von Walter Fläming
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Häuslerkate bald in arge Bedrängnis kommen; und man fühlt sich durchaus geborgen, wenn es noch hinlänglich Mehlstippe mit Speck-flocken oder frisches Leinöl zu den Kartoffeln gibt.

      Aber dem Schuster scheint das kein lebenswertes Leben. Er weiß schöneres; er kennt das Paradies auf Erden. Ihm ist die Heimat nichts, weil seine Seele sich nicht fest mit eigener Scholle verhakeln kann. Er ist ein immer unzufriedener Nörgler, der Schlösser in die Wolken baut und anderen die Köpfe verdreht. Und eines Tages spricht er das große Zauberwort aus. Australien!

Dorf im Auswanderungfieber

      Dem Paplitzer Kantor Meerwaldt, einem Feuerkopf von einigen dreißig Jahren, zerklirrt auf den Steinen vor dem Hause des Schulzen Taege der porzellanene Pfeifenkopf mit dem schönen Bilde, das Blücher in der Umarmung mit Wellington auf dem Schlachtfeld von Bellealliance zeigte. Er ist sprachlos darüber, was ihm der Dorfgewaltige soeben inmitten des behäbigen Gevatter-schnacks von der neuesten Marotte des verdrehten Schusters erzählt. „Du soll doch dieser und jener“, wettert er los; „ist der Mann bloß unklug, oder ist er bösartig? Hat er denn nicht ein Fünkchen deutscher Glut in seinem schwarzen Schusterherz! Will hier ehrliche, fleißige und bisher doch leidlich zufriedene Menschen oerleiten, sich von der Heimat abzuwenden. Sollen da draußen vor die Hunde gehen und den hochnäsigen Vettern jenseits des Kanals in ihrer neuesten Kolonie den Kulturdünger abgeben. Ich dächte, wir Deutschen hätten überaus genug trübselige Erfahrungen gesammelt dort drüben in Amerika, aber auch bloß als die Soldknechte Albions! Den Schuster kaufe ich mir; dem werde ich seinen Querkopf schon richtig setzen!“ Auf der Stelle dreht der Kantor um und humpelt - er lahmte schon als Junge, weil ihm beim Austreiben ein Pferd das rechte Bein angeschlagen hatte - dem Schulhause zu. Jetzt ist die Reihe zu erstaunen am Schulzen. Daß Meerwaldt plötzlich Feuer fängt und ohne sichtbaren Grund explodieren kann, weiß er aus vielfacher Erfahrung. Was ihn aber soeben aus dem Häuschen brachte, ist dem Schulzen nicht ganz klar. Mochte doch der Schuster hingehen, wo der Pfeffer wächst, und mit ihm all das unzufriedene Volk. Dann ist man eben die Unruhestifter los; und Friede ist wieder in den Dörfern.

      Drüben in Tucheim gibt es auch Leute, die gegen den Schuster Wagner aufstehen. Als Meerwaldt über den Kirchhof schreitet, hört er im Pastorenhaus erregten Wortwechsel. In der verqualmten Studierstube findet er um den großen Tisch versammelt den Pastor Krause, seine Kollegen, den weißhaarigen Kantor Marwitz, den jungen Lehrer Lindstedt, den Wirtschaftsinspektor Lucke und den Schulzen Braune. Aus Karow sind gerade zum Besuch im gastfreundlichen Pastorhaus der Kantor Wulkow und der Schulze Nickel. Meerwuldt schnappt, noch ehe er an die Stubentür klopft, einige Worte auf, die ihm die ganze Situation klarmachen. Und da es um den verdrehten Schuster geht, kann er sich alles das sparen, was er sich auf dem Wege hierher zurechtgelegt hat.

      Jeder von ihnen weiß einiges vom Treiben Wagners zu erzählen. In Tucheim hat er tatsächlich schon einer ganzen Reihe von sonst so besonnenen und gesitteten Männern mit seiner Australienmarotte den Kopf verdreht. In den Familien Trinne, Wächter, Wedding, Zander, Flügge, Elsholz, Hahn, Kabelitz, Lenz, Thiele, Siebert und noch einem Dutzend anderer Häuser redet man schon von nichts anderem mehr als von der Fahrt über das große Wasser; und die jungen Frauen dort, die halbflüggen Mädchen und Burschen sind um verdrehtesten. Aber auch in Paplitz, Ziesar, Hohenseeden, Krüssau, in Genthin und Altenplathow, sogar um Fischbeck (bei Tangermünde) und Schönhausen (Elbe) herum grassiert das Fieber, mit dem Wagner die ganze Heimat verseucht. „Es ist ein Volksverführer elendester Art!“ schlägt Pastor Krause die Faust auf den Tisch; „mit Vernunftgründen ist ihm nicht beizukommen. Der Kerl hat den Gottseibeiuns uns im Leibe!“