Fahrt der Schule Platjenwerbe 1937: Unterschied zwischen den Versionen

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Herr Koch klatscht in die Hände. „Nun Schluß.“ „Weiterrechnen.“ „Erst müssen einmal ein paar wichtige Schritte getan werden. Dann erst kann<br>
Herr Koch klatscht in die Hände. „Nun Schluß.“ „Weiterrechnen.“ „Erst müssen einmal ein paar wichtige Schritte getan werden. Dann erst kann<br>
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kann es losgehen. Wir rechnen. Nach einiger Zeit sagt Herr Koch: „Heini, häng doch mal die Karte von der Prov. Hannover auf.“ Heini hängt die Karte von Hannover auf. Herr Koch setzt sich vor die Karte und mißt mit einem Lineal herum und rechnet. Ein paar Neugierige stehen schon wieder mit gespannter Miene bei ihm. Bald kommen mehr herzu. Herr Koch meint, daß wir eine schöne Fahrt zum Harz machen könnten. „Aber überlegt auch, was es heißt, am Tage 30 Klm. Marschieren.“ „Das geht –; das werden wir schaffen,“ so schreien wieder einige Vorlaute durcheinander.„Nein das geht nicht.“ „So viel trau ich euch allen nicht zu,“ sagt Herr Koch. „Wenigstens den Kleinen nicht. Da könnten nur das 5 – 6 – 7 und 8. Schuljahr mitmachen. „O-“. Das paßt den Kleinen gar nicht. „Nanana, nun seid aber ruhig“, sagt Herr Koch. „Wenn ich mit euch fahre, fahren wir nach Italien. Schallendes Gelächter ertönt. Wenn Herr Koch uns mit Schularbeiten auch manchmal total zwirbelt, so ist er auf der anderen Seite aber auch sehr spaßig und läßt sich manchen Scherz gefallen. Bald ist es 12 Uhr, und wir gehen mit frohem, leichtem Sinn nach Hause. Am anderen Morgen kommt das Gespräch gleich wieder auf die Fahrt. Herr Koch hat sich mit dieser Geschichte eingehend beschäftigt. Jetzt ist er zu einem festen Entschluß gekommen und teilt uns mit, daß wir nach Detmold fahren. Erst bedauern wir es sehr. Doch Herr Koch macht uns die Gründe klar, und wir beraten nun, durch welche Gegenden wir fahren müssen, um das Schönste zu sehen. Nachdem wir uns über manches klar geworden sind, schreibt Herr Koch gleich an einige Jugendherbergen in Hameln, Detmold, Vlotho, Meißen und Hausberge. Die ganze Fahrt von hier nach Det-
kann es losgehen. Wir rechnen. Nach einiger Zeit sagt Herr Koch: „Heini, häng doch mal die Karte von der Prov. Hannover auf.“ Heini hängt die Karte von Hannover auf. Herr Koch setzt sich vor die Karte und mißt mit einem Lineal herum und rechnet. Ein paar Neugierige stehen schon wieder mit gespannter Miene bei ihm. Bald kommen mehr herzu. Herr Koch meint, daß wir eine schöne Fahrt zum Harz machen könnten. „Aber überlegt auch, was es heißt, am Tage 30 Klm. Marschieren.“ „Das geht –; das werden wir schaffen,“ so schreien wieder einige Vorlaute durcheinander.„Nein das geht nicht.“ „So viel trau ich euch allen nicht zu,“ sagt Herr Koch. „Wenigstens den Kleinen nicht. Da könnten nur das 5 – 6 – 7 und 8. Schuljahr mitmachen. „O-“. Das paßt den Kleinen gar nicht. „Nanana, nun seid aber ruhig“, sagt Herr Koch. „Wenn ich mit euch fahre, fahren wir nach Italien. Schallendes Gelächter ertönt. Wenn Herr Koch uns mit Schularbeiten auch manchmal total zwirbelt, so ist er auf der anderen Seite aber auch sehr spaßig und läßt sich manchen Scherz gefallen. Bald ist es 12 Uhr, und wir gehen mit frohem, leichtem Sinn nach Hause. <br><br>Am anderen Morgen kommt das Gespräch gleich wieder auf die Fahrt. Herr Koch hat sich mit dieser Geschichte eingehend beschäftigt. Jetzt ist er zu einem festen Entschluß gekommen und teilt uns mit, daß wir nach Detmold fahren. Erst bedauern wir es sehr. Doch Herr Koch macht uns die Gründe klar, und wir beraten nun, durch welche Gegenden wir fahren müssen, um das Schönste zu sehen. <br><br>Nachdem wir uns über manches klar geworden sind, schreibt Herr Koch gleich an einige Jugendherbergen in Hameln, Detmold, Vlotho, Meißen und Hausberge. Die ganze Fahrt von hier nach Det-
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Version vom 5. September 2009, 19:51 Uhr

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Auf Froher Fahrt

Schülerberichte zu Planung und Verlauf dieser – für Platjenwerber Verhältnisse in der Zeit – außergewöhnlichen Unternehmung. Die einwöchige Fahrt wurde von den Lehrern Hermann Koch und Friedrich von Ahn, begleitet von Frau Margarete Koch, dürchgeführt.

Die Mappe mit den Äufsätzen in exakt ausgeführter Deutscher Schönschrift erhielten wir im August 2009 aus dem Nachlaß von Hermann Koch zur Verfügung. Um dieses Dokument aus dem früheren Platjenwerber Schulleben auch der heutigen Jugend inhaltlich darstellen zu können, wurden die Texte in die heutige Schriftform übertragen.


Reiseverlauf - Skizze von Ilse Wehrs

Beiträge sind unterzeichnet von folgenden Schülern:

Ilse Wehrs
Hermine Murken
Heinrich Siemer
Herbert Flathmann
Dita Thielbar
Elfriede Hashagen
Dietrich Kropp
Christian Keppler
Bernhard Dodt
Günther Buschhorn
Annegret Warms









Bearbeitung und Transkription: Uta Bothe und Peter Branscheid - Im September 2009


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Platjenwerbe, im Juni 1937.


Wir schmieden einen Reiseplan.

Heute morgen ging es bei uns in der Schule recht lebhaft zu; denn wir schmiedeten Pläne für die kommenden Sommerferien.

Sonst hatte die Schule am Anfang dieser Ferien immer einen lustigen Tag veranstaltet, wo Eltern und Kinder immer einige fröhliche Stunden zusammen verlebt hatten. Das war auch stets sehr interessant gewesen und hatte uns viel Spaß gemacht.

Heute morgen nun teilte Herr Koch uns mit, er habe vor, wieder wie im vergangenen Jahre für uns einen lustigen Tag zu veranstalten. Wir Kinder aber hatten uns schon im Geheimen etwas Besseres ausgedacht und fielen Herrn Koch ins Wort.

Als er noch gar nicht recht wußte, was dieser Ansturm sollte, baten wir Herrn Koch, er möchte doch einmal mit uns eine Fahrt machen. Gleich für 8 – 14 Tage. Herr Koch überlegte. Nach seinem nachdenklichen Gesicht zu rechnen schien er mit unserem Plan zufrieden zu sein.

Nach einigem Hin und Her nahm Herr Koch unseren Vorschlag an. Wir freuten uns natürlich wie die Heiden. Es gab ein lautes Hallo bei uns in der Klasse. Uns hat’s nur gewundert, daß Herr von Ahn, der in der zweiten Klasse unterrichtete, nicht hereinkam und nach dem Grund dieses Lautseins


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fragte. Aber da dieses nicht geschah, können wir wohl annehmen, daß der laute Krach bei uns der zweiten Klasse wohl nichts geschadet hat.

Endlich rief uns Herr Koch durch ein lautes Klopfen auf dem Tisch zu Anstand und Vernunft zurück. „Wo wollt ihr denn hin?“ rief er. Ach – was kam da nicht alles an Tageslicht. – Was hatten wir nicht für Wünsche! – Wo wollten wir nicht überall hin! Wieder wird es bei uns in der Klasse laut. „Nanana – so geht das aber nicht.“ „Solchen Lärm dulde ich nicht.“ „Finger zeigen, wenn man was sagen will.“ „Oder wir machen gar nichts.

“ Nun recken sich hübsch die Finger in die Höhe und es wird vorgeschlagen: „Eine Dampferfahrt nach Helgoland.“ „Olle Quatschliese – willst wohl seekrank werden,“ tönt eine wichtige Jungenstimme aus der Ecke. „Lothar, du wolltest doch was sagen.“ „Weißt du was besseres?“ Lothar, das scheinbar unschuldigste Lamm auf Gottes weiter Erde, steht auf. „Nach dem Rhein müßten wür mal runterfahrn.“ „Ja“, meint Herr Koch „das ist ja eine sehr schöne Fahrt. „Aber das Geld will nicht immer reichen.“ „Ich weiß, eure Eltern geben es euch gern.“ „Manchen aber fällt das sehr schwer.“ „Aber zur Weser könnten wir mal“, meint Lisa. „Ja, das wäre ja schon so etwas.“ „Nein“, ruft eine Stimme dazwischen, „den Harz müßten wir abklappern.“

Herr Koch klatscht in die Hände. „Nun Schluß.“ „Weiterrechnen.“ „Erst müssen einmal ein paar wichtige Schritte getan werden. Dann erst kann


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kann es losgehen. Wir rechnen. Nach einiger Zeit sagt Herr Koch: „Heini, häng doch mal die Karte von der Prov. Hannover auf.“ Heini hängt die Karte von Hannover auf. Herr Koch setzt sich vor die Karte und mißt mit einem Lineal herum und rechnet. Ein paar Neugierige stehen schon wieder mit gespannter Miene bei ihm. Bald kommen mehr herzu. Herr Koch meint, daß wir eine schöne Fahrt zum Harz machen könnten. „Aber überlegt auch, was es heißt, am Tage 30 Klm. Marschieren.“ „Das geht –; das werden wir schaffen,“ so schreien wieder einige Vorlaute durcheinander.„Nein das geht nicht.“ „So viel trau ich euch allen nicht zu,“ sagt Herr Koch. „Wenigstens den Kleinen nicht. Da könnten nur das 5 – 6 – 7 und 8. Schuljahr mitmachen. „O-“. Das paßt den Kleinen gar nicht. „Nanana, nun seid aber ruhig“, sagt Herr Koch. „Wenn ich mit euch fahre, fahren wir nach Italien. Schallendes Gelächter ertönt. Wenn Herr Koch uns mit Schularbeiten auch manchmal total zwirbelt, so ist er auf der anderen Seite aber auch sehr spaßig und läßt sich manchen Scherz gefallen. Bald ist es 12 Uhr, und wir gehen mit frohem, leichtem Sinn nach Hause.

Am anderen Morgen kommt das Gespräch gleich wieder auf die Fahrt. Herr Koch hat sich mit dieser Geschichte eingehend beschäftigt. Jetzt ist er zu einem festen Entschluß gekommen und teilt uns mit, daß wir nach Detmold fahren. Erst bedauern wir es sehr. Doch Herr Koch macht uns die Gründe klar, und wir beraten nun, durch welche Gegenden wir fahren müssen, um das Schönste zu sehen.

Nachdem wir uns über manches klar geworden sind, schreibt Herr Koch gleich an einige Jugendherbergen in Hameln, Detmold, Vlotho, Meißen und Hausberge. Die ganze Fahrt von hier nach Det-

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mold kommt 15 M. Einige sind unter uns, die nicht auf einmal so viel Geld haben. Aber auch sie sollen diese Fahrt mit erleben. Keiner soll zu Hause bleiben und den anderen sehnsüchtig nachschauen, wenn sie reisen können.Herr Koch wird dafür sorgen, daß das Geld hervorgezaubert wird und wir werden später sehen, daß alle die, die gesund bleiben, mitfahren. Da helfen alle mit, die es eben können.

Nach etwa 8 Tagen haben wir von den Jugendherbergen Nachricht. In Hausberge ist alles besetzt. Dafür können wir aber in Meißen bei Minden bleiben, und später in Vlotho und Detmold. Hameln schickt keine Nachricht. Wir warten noch einige Zeit. Als aber nichts kommt, werden die Vorbereitungen getroffen. Die Jüngeren, die eine Tour noch nicht mitgemacht haben, sind etwas unbeholfen bei den Vorbereitungen. Aber denen wird bald geholfen.

Eines Morgens teilt Herr Koch uns mit: Am Mittwoch den 7. Juli kann es losgehen. Morgens um 6 Uhr 41 Min. fährt unser Zug von Lesum ab. Ein Jubelsturm der Freude bricht auf, der nicht enden will.

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Platjenwerbe den 7. Juli 1937.


Wer recht in Freuden wandern will …….

Nach allerhand Vorbereitungen und großer Vorfreude naht der Morgen des 7. Juli heran. Es ist morgens ½ 6 Uhr. Auf dem Schulhof herrscht reges Leben und Treiben und eine Freude und ein Jubel wie sonst nie. Einige Frühaufsteher sind nämlich schon schwerbepackt angekommen. Nach und nach finden sich auch die übrigen ein.

Als alles versammelt ist, werden noch die Erbs- und Kochwürste in den Brotbeuteln verstaut, denn wir müssen uns den ersten Tag selbstversorgen. Nach einiger Zeit marschierten wir im festen Marschschritt durch das Dorf dem Lesumer Bahnhof zu. Dort angekommen, löst Herr Koch für uns einen Schein. Dann kommt der Zug. Wir steigen schnell ein und schon verläßt der Zug die Haltestelle Lesum.

In Bremen mußten wir umsteigen. Nach 20 Min. Aufenthalt fährt der Zug weiter. Wir fahren über Verden – Nienburg – Minden – Hausberge nach Porta.

Während der Fahrt sehen wir aus dem Abteilfenster. Bald waren die ersten Berge in Sicht. Wie Wolken sahen sie aus. Nach einiger Zeit sahen wir die Wittekindsburg mit dem Kaiserwilhelmsdenk-

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mal. Später entdeckten wir auch den Jakobsberg mit der Bismarksäule. So kommen wir unserem Ziel immer näher.

Als wir in Porta aussteigen, macht Herr von Ahn auf dem Bahnhof eine Aufnahme. Dann marschierten wir los. Unser Ziel war Meißen. Doch wollten wir vorher noch das Kaiserwilhelmdenkmal und die Bismarkssäule besichtigen. Da mußten wir über die Hängebrücke. Am Ende der Brücke stand ein Zollhaus. Dort mußten wir 3 Pf. Brückenzoll zahlen. Dann erst durften wir hinüber gehen.

Als wir schon ein Stück Wegs gegangen waren, sahen wir vor einem Hause ein Schild. Darauf stand: Hier werden Fahrräder und Gepäck aufbewahrt. Da einige schon sehr mit ihrem Kram zu schleppen hatten, luden wir hier in einem Schuppen unser Gepäck ab. Dann hingen wir uns Brotbeutel und Feldfla-

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sche um und fort gings. Was uns sehr interessierte, war eine Freilichtbühne. An einer Anschlagssäule lasen wir dann, daß heute nachmittag ein Ritterspiel gegeben wurde. „Das Kätchen von Heilbronn“ hieß es. Wir fragten Herrn Koch, ob wir nicht dieser Vorstellung beiwohnen könnten, und er versprach uns, wenn wir früh genug wieder da wären, mit uns die Vorstellung zu besuchen. Jetzt ging es zum Kaiserwilhelmsdenkmal. Immer im Zickzack geht der Weg steil hinauf. Anfang ging es ganz gut. Als wir aber eine Std. gegangen waren, wurde es doch schon etwas schwieriger. Bald mußten wir am Ziel sein. Wir hatten schon ein gutes Stück hinter uns, da sahen wir die Spitze des Denkmals. Noch gut 10 Min. und wir kommen auf eine wunderschöne – breite – ebene Straße. Bald hatten wir das Denkmal erreicht. So groß wie wir es jetzt vor uns sahen, haben es sich manche wohl nicht vorgestellt. Staunend betrachteten wir das große Werk, das von Menschenhänden erbaut worden war. Wir gingen die Terrasse hinauf. Von oben herab hatte man eine schöne Aussicht auf die Stadt. Da sah man die Häuser mit ihren Gärten, die wie Streichholzschachteln aussahen. Als wir eine ganze Zeit oben gewesen waren und uns sattgesehen hatten an der schönen Aussicht die sich uns bot stiegen wir hinunter auf den Vorplatz, wo schöne Bänke standen. 104 Stufen zählte ich, als wir unten waren.Wir verteilen uns auf einige Bänke und essen unser Brot. Noch einmal betrachten wir das schöne Denkmal. Nachdem wir uns ein wenig ausgeruht hatten, verließen wir den Platz. Wenn wir vorhin immer bergauf gingen, mußten wir jetzt natürlich bergabgehen. Das ging aber lange nicht so gut, denn die Wege sind sehr steil. Da muß man immer im Trab laufen, was sehr ermüdet. Doch wie so

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manches auf der Welt, nahm dies ungewöhnliche Wandern auch einmal sein Ende. Als wir wieder bei der Freilichtbühne ankamen, ruhten wir uns dort aus. Herr von Ahn wollte noch zur Bismarkssäule hinauf. Wir waren schon alle sehr müde. Aber doch waren einige dabei, die noch Lust hatten, mit ihm zu gehen. Wir holten unser Gepäck ab und gingen zurück zur Freilichtbühne. Dort hielten die, die nicht mehr mitgingen, die Plätze frei und verwahrten das Gepäck derer, die noch wieder fortgingen. Dann ging es los. Es gab keinen anderen Weg zur Bismarkssäule als den über die Hängebrücke. Da mußten wir also wieder 3 Pf. Zoll zahlen. Wir bekamen schon wieder Angst vor dem Steigen. Aber es war gar nicht so schlimm. Es ging viel flotter vorwärts als wie auf dem Wittekindsberg. Wenn man nun also denkt, daß es auf dem Jakobsberg genau so aussieht, als auf dem Wittekindsberg, so irrt man sich. Während man auf dem Wittekindsberg nichts als Wald und schmale Sandpfade sah, so war das hier doch noch etwas anders. Hier entdeckte einer von uns einen Telegraphenpfahl und dann sahen wir auch die Drähte. Das ist ja komisch. Da müssen hier oben auf dem Berg ja Menschen wohnen. Und richtig. Als wir ein gutes Stück gegangen waren, schimmerte zwischen den Bäumen ein rotes Dach hervor. Es war gar nicht mal ein sehr kleines Haus. Als wir dann weiterkamen, trafen wir noch mehr Häuser an. Ganz oben war sogar eine Gastwirtschaft. Die Jungen waren schon ein gutes Stück voraus. Plötzlich blieben sie stehen. Als wir näherkamen, stand seitwärts ein kleiner Schuppen. Wir lugten neugierig durch einen Spalt. Da sahen wir 3. Adler, die am Fuße an einer Kette gebunden waren. Das war natürlich

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etwas für unsere Jungen. Doch Herr von Ahn mahnte zum Weitergehen. Da kamen wir auch schon bei der Säule an. Wir besichtigten uns dieselbe und fanden, daß das Kaiserwilhelmsdenkmal doch schöner war. Von hier oben aus hatte man einen schönen Blick auf den Luftkurort Hausberge. Nach einiger Zeit gingen wir in der entgegengesetzten Richtung, aus der wir gekommen, den Berg hinunter. Allmählich war es an zu regnen gefangen. Als wir wieder auf der Hängebrücke waren, fing es in Strömen an zu gießen. Das war für uns natürlich nicht schön. Bei der Freilichtbühne angekommen, hatten sich die zurückgebliebenen Schüler unter die vorstehenden Dächer der Zinkebuden, die dort standen, geflüchtet. Herr Koch beschloß, weiter zu ziehen, denn bei einer Freilichtbühne hat man ja kein schützendes Dach überm Kopf. Wer weiß, wann dieser Regen hätte aufgehört. Dafür können wir jetzt auch weitergeh’n, daß wir unsere Jugendherberge erreichen. So mußten wir die Vorführung, auf die wir uns so gefreut hatten, fahren lassen. So machten wir uns denn auf den Weg, der uns wieder über die Hängebrücke führte und unsere Geldbörse um 3. Pf. leichter machte. Wir waren aber kaum einige Schritte von der Brücke entfernt, da hörte es auf zu regnen. Das schönste Wetter brach durch. So ist es immer, wenn man sich etwas vornimmt. Unsere Jugendherberge war leicht zu finden. Wenn wir vor einer Kreuzung standen, zeigte uns meistens ein Wegweiser den Weg. War ein solcher mal nicht vorhanden, so zeigten ihn uns nette Leute. In einem Kolonialwarengeschäft

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Kauften ein paar große Mädchen das nötige Brot für den Abend ein, denn wir mußten uns den ersten Tag selbst versorgen. Dann ging es weiter.


7. Juli 1937.

Unser erster Tag in der Jugendherberge! Zwischen den Bäumen sahen wir eine Fahne der D. J. H. aufflackern. Das war unser Ziel. Das müßte unsere Jugendherberge sein. Die letzte Kraft wurde zusammengenommen, und schon nach wenigen Min. standen wir vor der Herberge, die uns das Bild links zeigt.

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Die Treppe führte zum Schlafraum der Mädchen. Die Tür links von der Treppe führt zum Tagesraum und zur Küche. Das Fenster da neben ist das Tagesraumfenster. Wie wir sehen ist die Jugendherberge nicht sehr groß, aber für uns war sie ganz gemütlich, da wir unser Reich hier ganz für uns hatten. Die Herbergseltern wiesen uns zurecht.

Nachdem wir unser Gepäck im Schlafraum niedergelegt hatten und der Reisestaub fortgewaschen war, gingen die Jungen in ihr Holzhäuschen, worin sie schliefen und die Mädchen mit Frau Koch in die Küche. Dort wurde

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Schnell ein Feuer angezündet. Die Erbstwürste wurden vom Papier befreit und in den Topf getan. Später wurden auch die Kochwürste gekocht. Während nun eine auf den Topf paßte, liefen die übrigen schnell hin und holten ihre Teller und Bestecke. Bald war alles im Tagesraum versammelt. Von da aus gehts mit den Tellern in der Hand zur Küche. Dort steht Herr von Ahn mit einem großen Löffel in der Hand vor dem Kochtopf. Jeder bekommt einen ordentlichen Löffel voll auf den Teller. Dann gehts mit den gefüllten Tellern in den Tagesraum. Wir stehen auf und Herr von Ahn ruft: „Ein jeder esse was er kann.“ Darauf antworten alle: „Ran“.

Da sind wir aber auch mal ordentlich rangegangen, denn bald verriet ein lautes Löffelgeklapper unseren guten Appetiet. Der große Kochtopf, vor dem wir vorhin schon ein bißchen Angst hatten, wurde wirklich leer.

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Nach dem Essen war für uns Mädchen genug Arbeit da. Geschirr mußte abgewaschen und getrocknet werden. Als alle Arbeit getan war, gingen wir in den Tagesraum, wo uns der Jugendherbergsvater den Plan für die Umbauung der Herberge zeigte.
Plötzlich hörten wir viele Stimmen. Wir sahen aus dem Fenster. Noch eine Schule war angekommen.

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Aber hier ist doch alles besetzt. Was wollen die hier denn? Das muß wohl ein Irrtum sein. Der Herbergsvater kommt herzu und sagt ihnen, daß er sie nicht aufnehmen kann. So müssen denn die müden Wanderer weiterziehen. Das war für uns Glück im Unglück. Hätten wir uns die Vorführung bei der Freilichtbühne angesehen, so wären wir später gekommen und hätten die Jugendherberge nicht einnehmen können. Aber nun ist es umgekehrt gekommen. Wir gehen beruhigt in den Schlafraum, während die Lehrer noch im Tagesraum sitzen und den nächsten Tag besprechen.<br<

Na – meint ihr, wir wären gleich eingeschlafen? Nein – schwer geirrt meine Herren. Krach haben wir gemacht. Und wie! Da kam erst Leben in die Bude. Zuvor hatten sich schon einige ihre Trainingsanzüge angezogen und waren in ihren Schlafsack gekrochen. Das dauerte aber nicht lange, da wurden sie wieder herausgezerrt. Wenn man das nicht fertig brachte, nun – so zog man ihnen die Wolldecke weg. Geärgert wurden diese faulen Dinger immer. Eine mußte auch immer dabei sein, die die anderen in Angst brachte, durch das plötzliche Rufen: „Still – Herr Koch kommt!“ Es wurde natürlich gleich still. Schließlich kam und kam der Betreffende aber nicht und es stellte sich heraus, daß wir belogen worden waren. Der aber, der diesen Kram aufgebracht hatte, mußte sich wohl hüten; denn bald kriegte er hier einen geklebt und bald sauste ihm dort eine Wolldecke an den Kopf. So entstand hier so richtig eine Balgerei. Eine Kissenschlacht war es. Bald mußten wir unsere Decken zusammenholen, denn eine hatte 4 - 5

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Decken und die andere hatte überhaupt keine mehr. Bald ist alles wieder einigermaßen hergestellt. Ich holte meine Mundharmonika aus dem Brotbeutel, legte mich aufs Bett und fing an, ein heiteres Lied zu spielen. Natürlich stimmten gleich alle mit ein. Schließlich wurde das aber doch zu langweilig. Was die Jungen wohl machten? Ob sie wohl schon schliefen? Ich stand auf und lief an die Tür. Bald hörte ich, daß auch dort frohes, lautes Leben herrschte. Ich machte die Tür auf. O, da war es ja noch lauter als bei uns. Immer huschte hier und da einer am Fenster vorüber. Schade, daß dasselbe nicht etwas größer war, dann hätte man doch etwas mehr sehen können. Vielleicht dachten sie, wir schliefen schon. Puh – das wäre ja ärgerlich. Die sollten doch nicht wissen, daß uns der Marsch, den wir heute morgen gemacht hatten, schon so ermüdete. Sicher spotteten sie morgen darüber. Das mußte aber auf alle Fälle verhindert werden. Darum rief ich, die Aufmerksamkeit der Jungen auf mich ziehend: „Jungen – Jungen!“ Erst hörte mich niemand. Doch als ich dann noch einmal rief, wurden ein paar Köpfe am Fenster sichtbar. Ich fragte: „Schlaft ihr denn schon?“ „Wir? – I wo“, kam die Antwort. „Schlaf ihr denn schon?“ „Nein“, rief ich. „Hört ihr unseren Lärm denn nicht?“ „Nein“, kam es zurück. „Schade“, rief ich und knallte die Tür hinter mir zu. Ein paar Mädchen hatten schon wieder etwas zu beraten. Wie können wir Herrn Koch wohl mal eins auswischen? „Pingel unters Bett binden“, rief ich. „Au das wär was“. „Habt ihr denn ‚ne Pingel?“, rief ich. „Nein.“ „Na – da hat’s ja keinen Zweck“. – „Ich weiß was.“ „Ich krabbel unter Herrn Kochs Bett,“

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ruft da die naseweise Agnes „und spiel das Gespenst.“ „Au fein; das wird ein guter Spaß“. Schon flitzt Agnes unter Herrn Kochs Bett. Inzwischen habe ich mich auf das Fensterbrett gesetzt und schaue auf die Stadt. Plötzlich sehe ich auf dem Wittekindsberg ein auffallend großes Licht, das sich nach allen Seiten dreht. „O – ein Schweinwerfer“, rufe ich. Im Nu kommen alle auf mich zu. Auch Agnes, die ja unbedingt alles sehen muß, krabbelt schnell unterm Bett hervor. So schauen wir eine ganze zeitlang zum Berg hinüber. Die kleine Elfriede, die wohl nichts hat sehen können, geht an die Tür. Plötzlich ruft sie: „Die Lehrer kommen“, und stürzt ins Bett. Wir stürmen natürlich auch wie die Wilden auf unsere Bette zu. „Agnes, Agnes schnell!“ Agnes liegt schon in den Federn. „Um Himmelswillen – Agnes“. „Kind.“ „Schnell doch.“ Agnes sieht sich verstört um. „Mensch was denn?“ „Was ist denn los?“ „Du wolltest doch Herrn Koch ..................“ Agnes kriegt nen Schreck. „O – Mensch“, entfährt es ihr. Schon will sie aus dem Bett springen. Doch im selben Augenblick geht die Tür auf und die Lehrer treten ein. Wir tun, als ob wir schlafen. Geärgert haben wir uns aber doch. Natürlich glaubt Herr Koch ja nicht, daß wir schlafen. Als die Lehrer in den Federn liegen, macht Hermine das Licht aus. Ach - das ist ja furchtbar, daß gerade unter mir; aber auch gerade ausgerechnet unter mir Frau Koch schläft. – Eigentlich ist es aber doch wieder ganz gut. Da wird man nicht so leicht beobachtet. Es ist ganz still. Aber an Schlaf ist noch nicht zu denken, trotzdem es schon 11 Uhr ist.

Wenn man nur mal seinem Ärger Luft machen

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könnte. Daß Agnes ihr Stück verpaßt hatte, wollte mir garnicht passen. Die Jungen hatten es gut. Die schliefen in ihrem Häuschen für sich und hatten keine Aufpasser. Sie waren wirklich zu beneiden. Sicher machten sie noch lauter dummes Zeug.

Vielleicht war es mir irgend möglich, einmal an die Tür zu gehen. Abwarten! Schlafen sollten diese Herren Lehrer noch nicht. Ich machte z – z – z .. - Frau Koch klopfte unter mein Bett, daß ich still sein solle. „Was kümmerts mich“ dachte ich und machte unbeirrt weiter. Wenn die anderen nun nach meiner Pfeife tanzten; dann nur zu. Aus der Ecke kam die Antwort „z.“ Wieder machte ich „z“, und wieder antworteten ein paar Stimmen. Zum zweiten Male klopfte Frau Koch. Nur immer zu, dachte ich und rief: „Froschkonzert!“ Elfriede, der das Lachen immer lose auf der Zunge lag, wollte vor Lachen platzen und zog den Kopf unter die Decke, damit sie niemand hören sollte. Neben mir wurde auch ein Kichern hörbar. Da mußte auch ich mir den Mund zuhalten, damit ich nicht laut an zu lachen fing.

Endlich hatten wir uns erholt, da sah ich gerade den 12Uhr Zug vorüberfahren, und da ich nichts anderes wußte, rief ich übermütig: „Da fährt ’n Tutzug!“ Natürlich fingen wieder einige an zu kichern.

Ich war wohl die letzte, die einschlief; aber auch die erste, die am anderen Morgen wieder aufwachte. Als die anderen noch alle im festen Schlaf lagen, stand ich auf und sah nach der Uhr. Es war 10 Min. vor 5 Uhr. Ich schlich mich wieder leise in mein Bett. Mal sehen,

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wann die anderen aufwachten. Nichts regte sich. Nach etwa 1 Std. wachten Marga und Frieda. Wir gaben uns immer Zeichen. Schließlich wachte auch Elfriede und Agnes. Jetzt fingen wir an, mit einer Garnrolle zu fangen.

Plötzlich rührte sich etwas bei der Tür. Das war Herr von Ahn. Er ging im Trainingsanzug nach unten. Agnes und Frieda folgten ihm.

Nach kurzer Zeit kommen sie wieder herauf. Agnes trat an mein Bett. „Komm raus, wir wollen einen Morgenlauf machen!“ „Au fein“, rief ich und sprang aus dem Bett. Auch Marga war schon so weit. Husch die Treppe hinunter.

Unten warteten die Jungen auf uns. Nach einigen Min. geht’s los. Niemand begegnet uns. Es ist ja auch noch früh. Wir kommen auf eine Landstraße. Nach etwa 5 Min. biegen wir in einen kleinen, schmalen Weg ein. Hinter uns wird ein lautes Brummen hörbar. Wir bleiben stehen. Militärfahrzeuge fahren vorbei. Wir laufen weiter. Bald haben wir unsere Jungendherberge wieder erreicht. Wir gehen in den Schlafraum hinauf. O, Wunder – die Stubenhocker sind ja auch schon zu Beine gekommen. Wir ziehen die Trainingsanzüge aus und holen unsere Toilettensachen hervor. Dann gehts im Turnanzug nach unten. Schnell werden die Waschschüsseln mit frischem Wasser gefüllt. Wir wollen uns einmal ordentlich abschruppen. Danach werden die Zähne geputzt. Dann geht es wieder in den Schlafraum wo man sich glatt frisiert und ordentlich anzieht. Bald sind wir fertig – packen Auflage und Besteck aus und gehen in den Tagesraum. Dort empfängt uns ein angenehmer

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Kaffeeduft, der einigen dickbauchigen Kaffeekannen entströmt. Bald sitzt alles gemütlich zum Frühstück beisammen. Heute wollen wir die Jugendberge verlassen.

Wir wollen weiterziehen nach Vlotho. Jeder streicht sich daher für den kommenden Marsch 4 – 6 Schnitten Brot auf. Nach dem Frühstück wird der Schlafraum in Ordnung gebracht und der Tornister gepackt. Um 11 Uhr ist alles schwerbepackt vor der Jungendherberge angetreten.

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Wir wollen uns noch eine schöne Erinnerung von der Meißener Jugendherberge mitnehmen, indem uns der Jungenherbergsvater photographiert.



Dann gehts, ein frisches Lied auf den Lippen, den Berg hinab, einem neuen Ziel entgegen. Noch einmal winken wir Abschied nehmend der Jugendherberge zu. Vielleicht sehen wir sie später einmal wieder und verleben noch einmal so frühliche Stunden in ihrem behaglich und gemütlichen Zimmerchen, wie wir sie gestern und heute erlebt hatten.

Ilse Wehrs
14 Jahre alt