Forensische DNA-Genealogie: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Anfänge der Methode liegen in den USA. In weiteren Ländern gab es Pilotprojekte, die einzeln von Gerichten genehmigt wurden. Unter anderem wurden in Kanada, Australien, Neuseeland, Schweden und Norwegen alte Mordfälle geklärt, weitere Pilotprojekte laufen in den Niederlanden, Estland und Tschechien; in Großbritannien wird ein entsprechendes Gesetz erwogen.<ref name=":0">Lex Meulenbroek, Diederik Aben: ''[https://www.uitgeverijparis.nl/nl/reader/2000000102/2000001022 Forensische Opsporingsgerichte Genetische Genealogie]''; vgl. Abschnitt "Weitere Informationen"</ref>  In der EU traten am 1. Juli 2025 Gesetze zur Forensischen DNA-Genealogie in Schweden und Dänemark in Kraft.  
Die Anfänge der Methode liegen in den USA. In weiteren Ländern gab es Pilotprojekte, die einzeln von Gerichten genehmigt wurden. Unter anderem wurden in Kanada, Australien, Neuseeland, Schweden und Norwegen alte Mordfälle geklärt, weitere Pilotprojekte laufen in den Niederlanden, Estland und Tschechien; in Großbritannien wird ein entsprechendes Gesetz erwogen.<ref name=":0">Lex Meulenbroek, Diederik Aben: ''[https://www.uitgeverijparis.nl/nl/reader/2000000102/2000001022 Forensische Opsporingsgerichte Genetische Genealogie]''; vgl. Abschnitt "Weitere Informationen"</ref>  In der EU traten am 1. Juli 2025 Gesetze zur Forensischen DNA-Genealogie in Schweden und Dänemark in Kraft.  


Von der Forensischen DNA-Genealogie zu unterscheiden ist die Familiensuche oder das Familial Searching in der DNA-Datenbank der Polizei. Da die Polizei zur Identifikation von Personen mittels [[Genetischer_Fingerabdruck|genetischem Fingerabdruck]] sogenannte Short Tandem Repeats (STR) untersucht (nicht [[Single-nucleotide_polymorphism|Einzelnukleotid-Polymorphismen]] wie in der Genealogie), können nur sehr nahe Verwandtschaftsverhältnisse festgestellt werden, z.B. Eltern bzw. Kinder oder Geschwister. Dies ist auch in Deutschland möglich und findet statt, wenn eine Tatort-Spur in der DNA-Datenbank der Polizei einen "Beinahe-Treffer" ergibt, der auf ein enges Verwandtschaftsverhältnis zwischen der gesuchten Person und einer Person in der Datenbank und der Person hinweist.<ref>[https://dserver.bundestag.de/btd/19/043/1904354.pdf Bundestagsdrucksache 19/4087: Anwendung von Familial Searching im Rahmen von DNA-Analysen] </ref> In Deutschland darf ein genetischer Fingerabdruck nur auf richterliche Anordnung hin gespeichert werden.
Von der Forensischen DNA-Genealogie zu unterscheiden ist die Familiensuche oder das Familial Searching in der DNA-Datenbank der Polizei. Da die Polizei zur Identifikation von Personen mittels [[Genetischer_Fingerabdruck|genetischem Fingerabdruck]] sogenannte Short Tandem Repeats (STR) untersucht (nicht [[Single-nucleotide_polymorphism|Einzelnukleotid-Polymorphismen]] wie in der Genealogie), können nur sehr nahe Verwandtschaftsverhältnisse festgestellt werden, z.B. Eltern bzw. Kinder oder Geschwister. In Deutschland darf ein genetischer Fingerabdruck nur auf richterliche Anordnung hin gespeichert werden.


=== Methode ===
=== Methode ===

Version vom 3. Juli 2025, 10:17 Uhr

Die Forensische DNA-Genealogie, im Englischen Forensic Investigative Genetic Genealogy, kurz FIGG, ist eine Methode, mit der man Straftäter ermitteln oder die Identität von Personen aufklären kann; letzteres wird fast immer bei Toten oder menschlichen Überresten angewendet. Im Fall der Straftäter wird dafür eine DNA-Spur vom Tatort verwendet.

Die Anfänge der Methode liegen in den USA. In weiteren Ländern gab es Pilotprojekte, die einzeln von Gerichten genehmigt wurden. Unter anderem wurden in Kanada, Australien, Neuseeland, Schweden und Norwegen alte Mordfälle geklärt, weitere Pilotprojekte laufen in den Niederlanden, Estland und Tschechien; in Großbritannien wird ein entsprechendes Gesetz erwogen.<ref name=":0">Lex Meulenbroek, Diederik Aben: Forensische Opsporingsgerichte Genetische Genealogie; vgl. Abschnitt "Weitere Informationen"</ref> In der EU traten am 1. Juli 2025 Gesetze zur Forensischen DNA-Genealogie in Schweden und Dänemark in Kraft.

Von der Forensischen DNA-Genealogie zu unterscheiden ist die Familiensuche oder das Familial Searching in der DNA-Datenbank der Polizei. Da die Polizei zur Identifikation von Personen mittels genetischem Fingerabdruck sogenannte Short Tandem Repeats (STR) untersucht (nicht Einzelnukleotid-Polymorphismen wie in der Genealogie), können nur sehr nahe Verwandtschaftsverhältnisse festgestellt werden, z.B. Eltern bzw. Kinder oder Geschwister. In Deutschland darf ein genetischer Fingerabdruck nur auf richterliche Anordnung hin gespeichert werden.

Methode

Für die Suche nach der Identität der Person, die die Spur hinterlassen hat, wird zunächst in DNA-Genealogie-Datenbanken nach geeigneten Matches gesucht. Das DNA-Kit mit der Spur vom Tatort wird den anderen Nutzern nicht als Match angezeigt (Einbahnstraßen-Abgleich).<ref name=":0" /> Die gefundenen Matches werden in Cluster aufgeteilt, die je ein gemeinsames Vorfahrenpaar haben. Wenn dieses identifiziert ist, wird anschließend das jüngste gemeinsame Vorfahrenpaar aller Matches und der gesuchten Person ermittelt. So entsteht zunächst eine große Ahnentafel. Anschließend richtet sich der Blick wieder in der Zeit zurück Richtung Gegenwart: Von dem gemeinsamen Vorfahrenpaar müssen alle Nachfahren ermittelt werden. So entsteht ein Stammbaum, in dessen jüngster Generation die gesuchte Person wahrscheinlich auch zu finden ist. Für diese Recherche durch einen Genealogen oder eine Genealogin werden alle üblichen genealogischen Quellen und auch andere Datenbanken als die oben genannten herangezogen, sowie weitere öffentliche Quellen wie Facebook, BeenVerified, etc.

Der so gefundene Personenkreis wird mithilfe von Informationen aus den polizeilichen Ermittlungen noch weiter eingegrenzt, z.B. dem Geschlecht, dem Tatort (kann die Person zum Tatzeitpunkt dort gewesen sein oder war sie z.B. im Ausland?) oder dem Alter, das sich u.a. mithilfe der DNA oder aufgrund von Zeugenaussagen einschätzen lässt. In dem so eingegrenzten Personenkreis führt die Polizei weitere Ermittlungen durch und nimmt zuletzt DNA-Proben von dem oder den Verdächtigen zum Abgleich mit der Tatortspur.

Nur zwei DNA-Genealogie-Datenbanken erlauben solche Recherchen: Family Tree DNA und GEDmatch - und die Nutzer müssen aktiv zustimmen, dass ihre Daten für Polizeiermittlungen genutzt werden dürfen ("opt-in"). Die Portale 23andMe, Ancestry und MyHeritage lassen polizeiliche Ermittlungen nicht zu.

Anwendung in verschiedenen Ländern

USA

Weltweit bekannt wurde die Forensische DNA-Genealogie durch die Ermittlung des "Golden State Killers", Joseph James DeAngelo Jr. 2018, 40 Jahre nach der letzten Tat. Dabei wurde die Polizei von der Genealogin Barbara Rae-Venter unterstützt, die zuvor schon in zwei anderen Fällen für die Polizei gearbeitet hatte. Sie berichtet über die Anfänge der DNA-Genealogie und ihre Ermittlungen in ihrem 2024 erschienenen Buch I know Who You Are (auch als epub- und Kindle-E-Book erschienen).

Der Fall des "Golden State Killers" löste in den USA eine intensive Debatte darüber aus, ob die Daten von Familienforscherinnen und -forscher ohne deren Zustimmung für polizeiliche Ermittlungen in DNA-Genealogie-Portalen verwendet werden dürfen. Zumal Family Tree DNA, ohne dies bekannt zu machen, für alle Nutzerinnen und Nutzer in den USA ein automatisches "opt-in" festlegte.<ref name=":1">Police Are Getting DNA Data From People Who Think They Opted Out , The Intercept, 18. August 2023</ref> Bei GEDmatch hingegen wurden alle DNA-Profile für die Polizei gesperrt und alle Nutzerinnen und Nutzer mussten entscheiden, ob sie sie für die Ermittlungen freigeben; dadurch standen der Polizei zeitweise deutlich weniger Vergleichsdaten zur Verfügung. Andererseits nahm die Zahl der Menschen, die mittels DNA Genealogie betreiben, stetig zu. 2023 wurde bekannt, dass die Sperre für polzeiliche Ermittlungen bei GEDmatch durch ein "Loophole" zeitweise umgangen werden konnte <ref name=":1" />; inzwischen steht Ermittlungsbehörden das spezielle Portal GEDmatch PRO zur Verfügung. <ref>About GEDmatch PRO</ref>

Bis Dezember 2023 wurden in den USA 651 Fälle mit 318 Tätern geklärt, außerdem 468 Identitäten ermittelt, darunter vier von Lebenden.<ref>Wikipedia: Investigative genetic genealogy</ref>

Schweden

In Schweden konnte 2020 der Doppelmord von Linköping mittels Forensischer DNA-Genealogie geklärt werden, 16 Jahre nach der Tat. Die Ermittler wurden durch den Fall des "Golden State Killers" inspiriert. Möglich wurde der Erfolg, weil viele schwedische Familienforscherinnen und -forscher bereits die Datenbank FamilyTreeDNA nutzten (u.a. zur Aufklärung von Unregelmäßigkeiten bei Samenspenden), und weitere durch Aufrufe in den Medien dazu kamen. Die Polizei beauftragte den Genealogen Peter Sjölund mit den genealogischen Recherchen<ref>CompGen-Blog: DNA-Genealoge Peter Sjölund löst ungeklärten Doppelmordfall</ref>. Er schrieb später mit der Journalistin Anna Bodin ein Buch über den Fall<ref>[https://www.norstedtsagency.se/books/the-breakthrough/ Anna Bodin, Peter Sjölund: Genombrottet</ref>, das von Netflix als vierteilige Serie verfilmt wurde (mit Abweichungen vom realen Geschehen).

Ab 1. Juli 2025 gilt ein Gesetz, das die Methode unter bestimmten Voraussetzungen zulässt <ref>Sveriges Riksdag: Biometri i brottsbekämpningen</ref>

  • Sie ist nur anwendbar bei Mord sowie schwerer Vergewaltigung von Erwachsenen und Kindern.
  • Alle anderen Ermittlungsmethoden müssen erfolglos gewesen sein.
  • Es muss DNA-Material in ausreichender Menge und Qualität vorliegen, das sicher vom Täter stammt.
  • Die biogeographische Herkunftsanalyse muss zeigen, dass die gesuchte Person aus einem Land stammt, in dem DNA-genealogische Recherchen zu einem Ergebnis führen können, d.h. aus dem es genug Daten in den o.g. Datenbanken gibt und Personenstandsdaten einsehbar sind.

Dänemark

In Dänemark gilt ab 1. Juli 2025 ein einschließlich der Voraussetzungen für die Anwendung ähnliches Gesetz wie in Schweden. Hier ist es anwendbar für Mord, Terrorismus oder andere besonders schwere Straftaten.<ref>Forslag til Lov om ændring af retsplejeloven (Genetisk slægtsforskning som efterforskningsmiddel i politiet) </ref>

Frankreich

Obwohl in Frankreich "Direct to Consumer" DNA-Tests - und damit genealogische DNA-Tests - verboten sind, wurde 2023 mithilfe der Forensischen DNA-Genealogie der Fall des "prédateur du bois" ("Waldräuber") aufgeklärt<ref>Première en France : arrestation d'un criminel par la généalogie génétique</ref>.

Niederlande

In den Niederlanden wurden 2023 die Anwendung der Forensischen DNA-Genealogie in zwei Pilotfällen genehmigt: ein Mordfall und eine unidentifizierte Tote.<ref>Green light for the use of genealogy DNA databases</ref>

Datenschutz in der EU

Die Datenschutz-Grundverordnung der EU enthält spezielle Regelungen für die Strafverfolgung. Im Rahmen dieser Regelungen ist es zulässig, DNA-Proben vom Tatort, die sicher dem Täter oder der Täterin zuzuordnen sind, in eine Datenbank im Ausland zu übertragen und mittels Forensischer DNA-Genealogie nach dieser Person zu fanden. Die Identifikation von menschlichen Überresten mit dieser Methode ist hingegen nicht zulässig, weil nicht zwingend eine Straftat zum Tod geführt haben muss. Deshalb gelten für Tote die allgemeinen Regelungen der DSGVO. Und deshalb gilt das Gesetz in Schweden nur für die Strafverfolgung. <ref> Auskunft vom Forensikzentrum der Schwedischen Polizei. </ref> Auch das Gesetz in Dänemark gilt nur für die Strafverfolgung.

In den Niederlanden sind die beiden Pilotfälle nach Ansicht der Staatsanwaltschaft durch die Strafprozessordnung gedeckt. <ref name=":0">Lex Meulenbroek, Diederik Aben: Forensische Opsporingsgerichte Genetische Genealogie; vgl. Abschnitt "Weitere Informationen"</ref>

Weitere Informationen

Die folgenden Texte lassen sich am besten im Browser Google Chrome direkt übersetzen, indem man das entsprechende Symbol rechts in der Adressleiste anklickt; alternativ kann man DeepL nutzen.

Forensische DNA-Genealogie im Roman

Der britische Genealogie-Krimi-Autor Nathan Dylan Goodwin beschreibt in seiner Reihe Venator Cold Cases detailreich die Ermittlung von Mördern mithilfe der Forensischen DNA-Geneallgie, angeregt durch reale Fälle. Im Band "The Hollywood Strangler" gelingt die DNA-Analyse nur, weil der Pathologe Peter Speth bei Vergewaltigungsfällen immer eine zweite Probe genommen und eingefroren hat und diese trotz der langen Zeitspanne seit der Tat noch existiert. Bei dem Pathologen handelt es sich um eine gleichnamige, reale Person und das Geschehen ist weitgehend identisch mit dem bei der Ermittlung des Golden State Killers.<ref>How an N.J. pathologist may have helped solve the 'Golden State Killer' case</ref>

Einzelnachweise

<references />


Die Doppelhelix der DNA
Weitere Informationen zur DNA-Genealogie siehe Portal:DNA-Genealogie
1-zu-1-Vergleich zweier DNA-Kits bei Gedmatch.com