Erwerbs- und Wirtschaftsleben
Bearbeiter: Kaukas (wird fortgesetzt)
Name
Durch den Frieden von Versailles vom 28. Juli 1919 wurden verschiedene Gebiete vom Deutschen Reiche abgetrennt; zu diesen gehörte auch das Land nördlich der Memel; es heißt jetzt Memelgebiet. Man nennt es wohl auch das Memelland oder den Memelgau.
Landwirtschaft
Infolge der Bodenbeschaffenheit und seiner äußerst günstigen Lage nach wird das Wirtschaftsleben des Memelgebietes in der Hauptsache durch Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Handel beherrscht.
Die heimische Bevölkerungtreibt hier vorwiegend Ackerbau. Der größte Teil des Bodens befindet sich in den Händen kleinerer und mittlerer Besitzer. Daneben gibt es - besonders in den Kreisen Memel und Pogegen - mustergültig bewirtschaftete Güter. Ueberhaupt steht die Landwirtschaft des Memelgebietes in seltener Blüte. Die Landwirte verstehen es hier, den Grund und Boden gründlich auszunutzen und seine Erzeugnisse sachgemäß zu verwerten. Der Boden ist meistens drainiert oder mit sonstigen Entwässerungsanlagen versehen. Auch in den kleinsten Besitzungen findet man die besten Ackergeräte und Maschinen, und überall werden künstliche Düngemittel angewandt: Superphosphat, Knochenmehl, Kainit und Thomasmehl. Das alles sind Erzeugnisse, die aus dem alten Mutterlande bezogen werden müssen.
Zur Aussaat werden die edelsten Getreidesorten benutzt (Petkuser). Angebaut werden vor allen Dingen Roggen, Gerste und Hafer, und in den Moorgegenden sehr viel Kartoffeln. Die vielen Wiesen des Memelgebietes kommen der Vieh- und Pferdezucht sehr zustatten und ermöglichen die Haltung eines verhältnismäßig zahlreichen Viehbestandes. Auch hier ist man bei der Zucht auf Veredelung der Rassen bedacht. Ganz besonders leistungsfähig ist die Schweinezucht im Memelgebiete; sie ruht hauptsächlich in den Händen der kleineren Besitzer. Die meisten Schweine werden im Kreise Heydekrug gezüchtet. In den letzten Jahren hat infolge der Teuerung die Schaf- und Gänsezucht wieder ganz bedeutend zugenommen. Kleintierzuchtvereine sorgen für die Förderung der Zieg-, Geflügelzucht usw. und Bienenzuchtvereine für eine weitere Ausbreitung der Imkerei. Kurz, alle Zweige der Landwirtschaft des Memelgebietes sind auf der Höhe und machen unser Memelland zu einem Ueberschußgebiet. Ausgeführt werden vornehmlich Vieh, Schweine, Gänse, Pferde, Kartoffeln, Butter und Käse.
Die meisten Landwirte des Memelgebietes sind zu Verbänden, Genossenschaften und Kredit- und Raiffeisenvereinen zusammengeschlossen. So können sie ihre Interessen besser vertreten und auch die landwirtschaftlichen Bedarfsartikel billiger und leichter beziehen. In der Landwirtschaftskammer hat sich die gesamte Landwirtschaft selbst eine behördliche Vertretung geschaffen. Man ist auch auf die Weiterbildung der Landwirte und auf die Heranziehung eines tüchtigen Nachwuchses bedacht. Die Landwirtschaftskammer unterhält eine landwirtschaftliche Winterschule und ist bestrebt, wo es nur angängig erscheint, überall auf dem Lande die Einrichtung ländlicher Berufsschulen zu fördern.
Bauernregeln
- Das Wetter erkennt man am Wind, den Vater am Kind, den Herrn am Gesind.
- Maulwurfshaufen im März zerstreut, lohnen sich zur Erntezeit.
- Geht auf schlechter Weid die Kuh, verlierst du Weid ... und Milch dazu.
- Gut gefuttert - viel gebuttert. Striegel und Streu tun mehr als Heu.
- Beim Pferdehandel und Rinderkauf, tu die Augen oder den Beutel auf.
- Nur dem wird die Kette vom Wagen gestohlen, der zu faul ist, sie abends ins Haus zu holen.
- Der Segen kommt von oben, aber von unten hilft man dazu.
- Der Mann fährt mit vier Pferden nicht soviel ins Haus, als die Frau in der Schürze kann tragen hinaus.
- Gilts um ein Huhn zu rechten, sei gescheit: Nimm du ein Ei dafür und laß den Streit.
- Denk nicht so drauf, deine Äcker zu mehren, als die du hast, zu pflegen und zu kehren.
- Gute Schulen am rechten Platz sind für die Gemeinden ein rechter Schatz; aber zu Hause gute Zucht, die bringt erst die rechte Frucht.
- Es wird schlimm im Hause stahn, wenn die Henne kräht lauter als der Hahn.
- Der Hahn ist des Bauern Uhrwerk.
- Schwarze Kühe geben auch weiße Milch.
- Man soll nicht mit vieren fahren, wenn man nur für zwei Pferde Futter hat.
- Man soll nicht eine Kuh hungern lassen, wenn man eine Ziege gut füttern kann.
- Wer weiter will als sein Pferd, sitze ab und gehe zu Fuß.
- Wo der Mistwagen nicht hinkommt, kommt der Erntewagen nicht her.
Das memelländische Handwerk
Fast auf jedem Dorfe des Memelgebietes gibt es Handwerker, die für die notwendigsten Bedürfnisse der Ortseingesessenen sorgen. Die meisten Handwerker arbeiten nur auf Bestellungen; andere bringen außerdem noch ihre Erezugnisse in den Handel, so Klempner, Tischler, Schuhmacher usw. Solche Handwerker haben in größeren Orten auch Ladengeschäfte, in denen sie ihre Waren feilbieten. Im Interesse des ehrsamen Handwerkers wäre es sehr zu wünschen, wenn ein jeder die Mahnung beherzigen würde: "Kaufe, was du bekommen kannst, möglichst nur an deinem Wohnorte!"
Die Handwerker haben sich zu Innungen und Einkaufsgenossenschaften zusammengetan. Sie sind selbst darauf bedacht, ungeeignete Kräfte vom selbständigen Betrieb eines Handwerks auszuschließen und für einen tüchtigen, gut vorbereiteten Nachwuchs zu sorgen. Alle Lehrlinge sind verpflichtet, bis zum 18. Lebensjahre die Fortbildungsschule zu besuchen. Nach Beendigung der Lehrzeit wird eine Gesellenprüfung abgehalten, und wer Meister werden will, muß sich einer besonderen Prüfung unterziehen. Nur wer diese mit Erfolg abgelegt hat, darf später Lehrlinge beschäftigen. Zur Vorbereitung auf solche Prüfungen hat die Handwerkskammer des Memelgebietes besondere Meisterkurse eingerichtet.
Industrie
Verschieden Industriezweige verarbeiten in erster Reihe landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die Müllerei nutzt noch sehr häufig die Kraft des Windes aus; denn im ganzen Memelgebiete ist eine große Anzahl von Windmühlen vorhanden. Daneben sind verschiedene Wassermühlen in Betrieb, so bei Eckitten, in Werden und vor allen Dingen in Wischwill. Außerdem gibt es aber auch schon eine ganze Reihe von Dampfmühlen. Die Meiereien stellen Butter und Käse her. Durch die Torfstreufabrik wird das Moor ausgenutzt. Die Brauereien bereiten aus der Gerste ihre Biere, und die Ziegeleien sorgen für das wichtigste Baumaterial. Ihnen ist es zu verdanken, wenn auch im Memelgebiete die alten Holz- und Lehmbauten allmählich verschwinden und den modernen Ziegelbauten Platz machen.
In Memel sind eine Schiffswerft [1] und Waggonfabrik entstanden. Neuerdings ist eine Konservenfabrik gegründet worden.
Handel
Verkehrswesen
Postwesen
Literatur
- Meyer, Richard (Kreisschulrat in Heydekrug): Heimatkunde des Memelgebietes, Robert Schmidt´s Buchhandlung, Memel 1922, S. 55 ff