Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland/Anlagen 111: Unterschied zwischen den Versionen

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
(OCR)
(Korr., Anm.)
 
(Eine dazwischenliegende Version desselben Benutzers wird nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
{{Grundherrschaft-nw-dland|Anlagen 110|583|Anlagen 112|unkorrigiert}}
{{Grundherrschaft-nw-dland|Anlagen 110|583|Anlagen 112|korrigiert}}


Aber es ist völlig undenkbar, daß ein Volk, das schon größtenteils vom Ackerbau lebt, die ganze wirtschaftliche Thätigkeit auf die körperlich Leistungsunfähigen abgewälzt haben soll.
Aber es ist völlig undenkbar, daß ein Volk, das schon größtenteils vom Ackerbau lebt, die ganze wirtschaftliche Thätigkeit auf die körperlich Leistungsunfähigen abgewälzt haben soll.


Da nun die Thätigkeit des Hausherrn oder der Sklaven im Eigenbetrieb und Hauswesen des freien Mannes ausdrücklich verneint wird, so kann man die im Kapitel 15 erwähnte, von Frauen, Kindern und Greisen geführte Landwirtschaft nur als einen Nebenbetrieb betrachten. Dieser war eben so unbedeutend, daß die schwächsten Angehörigen der Familie ihn besorgen konnten. Die Frage, wer der eigentliche Ackerbauer war, wird in Kapitel 25 beantwortet. Nicht Frauen, Kinder und Greise ernährten die freien Männer, sondern als selbständige Ackerbauer angesiedelte Sklaven. Die Existenz des Freien beruhte nicht auf den Ertragnissen seiner Landwirtschaft, sondern auf den Abgaben seiner auf seinem Grundbesitz angesiedelten Sklaven. Der freie Deutsche war zur Zeit des Tacitus ein Grundherr, der Unfreie aber war ein zinspflichtiger selbständiger Ackerbauer.
Da nun die Thätigkeit des Hausherrn oder der Sklaven im Eigenbetrieb und Hauswesen des freien Mannes ausdrücklich verneint wird, so kann man die im Kapitel 15 erwähnte, von Frauen, Kindern und Greisen geführte Landwirtschaft nur als einen Nebenbetrieb betrachten. Dieser war eben so unbedeutend, daß die schwächsten Angehörigen der Familie ihn besorgen konnten. Die Frage, wer der eigentliche Ackerbauer war, wird in Kapitel 25 beantwortet. Nicht Frauen, Kinder und Greise ernährten die freien Männer, sondern als selbständige Ackerbauer angesiedelte Sklaven. Die Existenz des Freien beruhte nicht auf den Erträgnissen seiner Landwirtschaft, sondern auf den Abgaben seiner auf seinem Grundbesitz angesiedelten Sklaven. Der freie Deutsche war zur Zeit des Tacitus ein Grundherr, der Unfreie aber war ein zinspflichtiger selbständiger Ackerbauer.


Mit welchem Recht können wir nun annehmen, daß diese Darstellung der wirtschaftlichen Zustände der Germanen zur Zeit des Tacitus in ihren Hauptpunkten auch noch für das Sachsen kurz vor der fränkischen Eroberung zutrifft?
Mit welchem Recht können wir nun annehmen, daß diese Darstellung der wirtschaftlichen Zustände der Germanen zur Zeit des Tacitus in ihren Hauptpunkten auch noch für das Sachsen kurz vor der fränkischen Eroberung zutrifft?


Die karolingischen Schriftsteller berichten, daß das sächsische Volk in dieser Zeit in 3 resp. 4 Stände zerfallen sei, nndile», lid^ri, liti und außerdem sßi-vi ^. Die Stände waren streng geschieden, die Heirat unter Personen verschiedenen Standes nicht gestattet ^. Wer eine Frau aus höherem Stande heiratete, verfiel dem Tode ^. Die bei Tacitus nicht erwähnte Klasse der Liten bestand unzweifelhaft aus hörigen Kolonen (Ackerbauern).
Die karolingischen Schriftsteller berichten, daß das sächsische Volk in dieser Zeit in 3 resp. 4 Stände zerfallen sei, <tt>nobiles, liberi, liti</tt> und außerdem <tt>servi</tt>.<ref name=111-1>Vgl. Rudolf, <tt>Translatio S. Alexandri, Monument. German. SS.II</tt>, S.675. — v. Richthofen, Zur <tt>lex 8axonum</tt> S.226-229 auch das Folgende.</ref>  Die Stände waren streng geschieden, die Heirat unter Personen verschiedenen Standes nicht gestattet.<ref name=111-1 />  Wer eine Frau aus höherem Stande heiratete, verfiel dem Tode.<ref name=111-1 />  Die bei Tacitus nicht erwähnte Klasse der Liten bestand unzweifelhaft aus hörigen Kolonen (Ackerbauern).


Die Schriftsteller des Mittelalters und der Sachsenspiegel bezeugen ausdrücklich, daß diese Liten <Laten) im südöstlichen Teil Sachsens aus dem dort angesessenen und von den Sachsen besiegten Volk der Thüringer hervorgegangen sind^. Also hier bildete ein unterworfener Stamm den neuen, zur Zeit des Tacitus unbekannten Stand höriger Ackerbauer. Man kann annehmen, daß der ja in ganz Sachsen verbreitete Stand der Laien auch da, wo solches nicht ausdrücklich bezeugt ist, kriegerischer Unterwerfung eines alteingesessenen Volkes seinen Ursprung verdankt 2.
Die Schriftsteller des Mittelalters und der Sachsenspiegel bezeugen ausdrücklich, daß diese Liten (Laten) im südöstlichen Teil Sachsens aus dem dort angesessenen und von den Sachsen besiegten Volk der Thüringer hervorgegangen sind.<ref name=111-2>Vgl. Waitz, Verfassungssseschichte, Bd.I S.178 Anm.2. — Dahn. Urgeschichte der germanischen und romanischen  Völker. Berlin 1889,  Bd.IV S.186-188.  — v. Richthofen, Altfriesisches Wörterbuch <tt>vox letslachta</tt>, ist
ähnlicher Ansicht über den Ursprung der Liten in Friesland.</ref>  Also hier bildete ein unterworfener Stamm den neuen, zur Zeit des Tacitus unbekannten Stand höriger Ackerbauer. Man kann annehmen, daß der ja in ganz Sachsen verbreitete Stand der Laten auch da, wo solches nicht ausdrücklich bezeugt ist, kriegerischer Unterwerfung eines alteingesessenen Volkes seinen Ursprung verdankt.<ref name=111-2 />


Auch das strenge Heiratsverbot erklärt sich am besten aus der Stammesverschiedenheit der Stande und aus der Abneigung des herrschenden Stammes, mit dem unterworfenen sich zu vermischen^.
Auch das strenge Heiratsverbot erklärt sich am besten aus der Stammesverschiedenheit der Stande und aus der Abneigung des herrschenden Stammes, mit dem unterworfenen sich zu vermischen.<ref>v. Richthofen, Zur <tt>lex Saxonum</tt>, S.225.</ref>


Einerlei, wie die Liten oder Laten nun entstanden sind, wir haben in dem Sachsen  der vorfränkischen Epoche zwei Stände unfreier Ackerbauer
Einerlei, wie die Liten oder Laten nun entstanden sind, wir haben in dem Sachsen  der vorfränkischen Epoche zwei Stände unfreier Ackerbauer.
 
----
 
<references />
1 Vgl. Rudolf,  ^lÄNZlatio  8.  ^.leximäri,  Noiwmßnt. 6krm3,n.   88.  II,
S. 675, — u, Richthofen, Zur  lex 8axonum S. 226-229 auch das Folgende.
 
2 Vgl. Waitz, Nerfassungssseschichte,  Vd. I S. 178 Amn. 2. — Bahn. Ui-
sseschichte  der  germanischen  und  romanischen  Volker,    Berlin  1889,  Bd, IV
S, 186-188.  —  «. Richthofen,  Altfriesisches Wörterbuch  vox  I«t8ladiw, ist
ähnlicher Ansicht über den Ursprung der Litm in Friesland.
 
^ v. Richthofen, Zur lex 8axc>num, S. 225,

Aktuelle Version vom 5. September 2008, 15:26 Uhr

GenWiki - Digitale Bibliothek
Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland

Grundherrschaft-nw-dland.djvu # 583

<<<Vorherige Seite
[Anlagen 110]
Nächste Seite>>>
[Anlagen 112]
Grundherrschaft-nw-dland.djvu # 583
Hilfe zur Nutzung von DjVu-Dateien
Texterfassung: korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Bevor dieser Text als fertig markiert werden kann, ist jedoch noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.



Aber es ist völlig undenkbar, daß ein Volk, das schon größtenteils vom Ackerbau lebt, die ganze wirtschaftliche Thätigkeit auf die körperlich Leistungsunfähigen abgewälzt haben soll.

Da nun die Thätigkeit des Hausherrn oder der Sklaven im Eigenbetrieb und Hauswesen des freien Mannes ausdrücklich verneint wird, so kann man die im Kapitel 15 erwähnte, von Frauen, Kindern und Greisen geführte Landwirtschaft nur als einen Nebenbetrieb betrachten. Dieser war eben so unbedeutend, daß die schwächsten Angehörigen der Familie ihn besorgen konnten. Die Frage, wer der eigentliche Ackerbauer war, wird in Kapitel 25 beantwortet. Nicht Frauen, Kinder und Greise ernährten die freien Männer, sondern als selbständige Ackerbauer angesiedelte Sklaven. Die Existenz des Freien beruhte nicht auf den Erträgnissen seiner Landwirtschaft, sondern auf den Abgaben seiner auf seinem Grundbesitz angesiedelten Sklaven. Der freie Deutsche war zur Zeit des Tacitus ein Grundherr, der Unfreie aber war ein zinspflichtiger selbständiger Ackerbauer.

Mit welchem Recht können wir nun annehmen, daß diese Darstellung der wirtschaftlichen Zustände der Germanen zur Zeit des Tacitus in ihren Hauptpunkten auch noch für das Sachsen kurz vor der fränkischen Eroberung zutrifft?

Die karolingischen Schriftsteller berichten, daß das sächsische Volk in dieser Zeit in 3 resp. 4 Stände zerfallen sei, nobiles, liberi, liti und außerdem servi.[1] Die Stände waren streng geschieden, die Heirat unter Personen verschiedenen Standes nicht gestattet.[1] Wer eine Frau aus höherem Stande heiratete, verfiel dem Tode.[1] Die bei Tacitus nicht erwähnte Klasse der Liten bestand unzweifelhaft aus hörigen Kolonen (Ackerbauern).

Die Schriftsteller des Mittelalters und der Sachsenspiegel bezeugen ausdrücklich, daß diese Liten (Laten) im südöstlichen Teil Sachsens aus dem dort angesessenen und von den Sachsen besiegten Volk der Thüringer hervorgegangen sind.[2] Also hier bildete ein unterworfener Stamm den neuen, zur Zeit des Tacitus unbekannten Stand höriger Ackerbauer. Man kann annehmen, daß der ja in ganz Sachsen verbreitete Stand der Laten auch da, wo solches nicht ausdrücklich bezeugt ist, kriegerischer Unterwerfung eines alteingesessenen Volkes seinen Ursprung verdankt.[2]

Auch das strenge Heiratsverbot erklärt sich am besten aus der Stammesverschiedenheit der Stande und aus der Abneigung des herrschenden Stammes, mit dem unterworfenen sich zu vermischen.[3]

Einerlei, wie die Liten oder Laten nun entstanden sind, wir haben in dem Sachsen der vorfränkischen Epoche zwei Stände unfreier Ackerbauer.


  1. 1,0 1,1 1,2 Vgl. Rudolf, Translatio S. Alexandri, Monument. German. SS.II, S.675. — v. Richthofen, Zur lex 8axonum S.226-229 auch das Folgende.
  2. 2,0 2,1 Vgl. Waitz, Verfassungssseschichte, Bd.I S.178 Anm.2. — Dahn. Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker. Berlin 1889, Bd.IV S.186-188. — v. Richthofen, Altfriesisches Wörterbuch vox letslachta, ist ähnlicher Ansicht über den Ursprung der Liten in Friesland.
  3. v. Richthofen, Zur lex Saxonum, S.225.