Drojental/Berichte: Unterschied zwischen den Versionen

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'''''Dieter Keddigkeit''' (Juni 1993)''
'''''Dieter Keddigkeit''' (Juni 1993)''
==Auszüge aus einem Buch von Georg Lenuweit==
===Von Ostpreußen bis in Mecklenburgs Nossentiner Heide - Vom Kindheitstraum Förster zum Staatsjäger bei Honecker (2008)===

Version vom 18. Januar 2013, 21:04 Uhr


Brief von Marschand

Besuch in Drojental

6. Mai 1992

Um 9:00 Uhr Frühstück im Hotel Baltica (Königsberg). Anschließend wird ein Taxi gemietet.

Wir fahren in Richtung Insterburg-Drojental. Von Georgenburg geht es nach Mittelwarkau. Von dort nach Buchhof. In Buchhof fragen wir die Leute nach Drojental. Da waren 2 Frauen, die kannten den Ort. Sie hatten dort Beeren gesammelt. Sie wollten uns dort hinfahren, aber nicht von Buchhof sondern von Schuiken. Wir fahren nach Schuiken.
Von dort beginnt um 13:00 Uhr die Wanderung über die Felder nach Drojental. Wir sind 5 Personen, die beiden Frauen, der Taxifahrer, Hilde und ich. Die eine Frau ist 72 Jahre, die andere 30 Jahre alt. Wir gehen 1 Stunde, wir gehen auch noch eine Stunde. Wir wollen schon aufgeben, aber die beiden Frauen sind sich ihrer Sache so sicher, sodass wir weiter gehen.

Um 15:30 Uhr finden wir die Drojebrücke. Sie ist der Mittelpunkt von Drojental. Die Brücke ist noch befahrbar, nur das Brückengeländer fehlt. Die Sonne scheint. Die Dorfstraßen sind noch gut zu erkennen. Sie werden auch jetzt noch benutzt. Es sind in der Umgebung Traktoren zu hören. Sie bestellen wohl die Felder. Von Drojental war nicht viel zu sehen. Von den Häusern sah man nur die Fundamentsteine. Einen kleinen Teich haben wir noch gesehen. Er gehörte wohl zur Schmiede. Das Dorfgelände war, außer den Straßen, mit Buschwerk und dünnen Bäumen bewachsen. Die Drojebrücke war mit roten Ziegeln verblendet. Dies konnte man noch gut erkennen.
Wir traten dann den Rückmarsch an. Um 19:00 Uhr waren wir in Schuiken. Um 20:30 waren wir wieder im Hotel in Königsberg.

Wir hatten Drojental gefunden!

Abschrift eines Briefes von Marschand (durch Heinz Richter)


Bericht von Dieter Keddigkeit

Meine Reise nach Drojental im Kreis Insterburg

Sonntag, den 13. Juni 1993

Vom Hotel Kaliningrad in Königsberg versucht Dolmetscherin Angela einen Bus oder eine Bahnverbindung nach Insterburg zu bekommen. Ergebnis: Erst mittags geht vielleicht ein Zug. Busse haben ca. 3 Std. Verspätung. Mit einem Taxi geht es deshalb über Tapiau nach Insterburg. Wie eine typische russische Stadt sieht Insterburg aus. Der „alte Markt“ wirkt öde und unfreundlich. Es gibt keine alten Häuser mehr und keine Kirche, stattdessen ein paar russische Einheitsbauten. Erkannt habe ich den „alten Markt“ an einer Mauer mit Bogendurchgängen, die neben der Kirche war.

Nach kurzer Stadtrundfahrt geht’s über Georgenburg, Zwion nach Birken. An der Kirche lasse ich halten. An einer Außenwand der Kirche ist ein Schuppen angebaut. Jetzt soll das Kirchenschiff als Lagerhalle genutzt werden. Die Kirchturmspitze fehlt. Auf dem Turm sind zwei Storchennester mit Störchen. Sprachlos fahren wir weiter. Die alte Straße nach Tiesfelde, gesäumt von Bäumen, fahren wir ca. 2 km. Nun folgen wir den linken Treckerspuren mit tiefen Schlaglöchern. Der Taxifahrer fährt trotz meiner Mahnungen munter drauflos. Er meint, kein Problem für ihn als alten Panzerfahrer. Außer einem Haus in Kleinbirken sind kein Dorf, kein Haus und kein Mensch zu sehen. Die Felder sind unbewirtschaftet. Dann kommen wir zu einem Abzweig, vermutlich nach Neuwalde. Der Weg wird von schönen Bäumen gesäumt, ist aber verwachsen und erscheint unpassierbar. Wir fahren jetzt schon ein Stück geradeaus auf einer alten Straße. Da liegt ein Kieshaufen auf der Straße und versperrt uns den Weg. Der Taxifahrer holt einen Klappspaten aus dem Taxi und schaufelt unermüdlich den halben Kieshaufen beiseite. Mit weitem Anlauf fährt er gefährlich nah an Kieshaufen und Graben vorbei. Das war also geschafft. Der weitere Weg weist aber sehr tiefe Traktorenspuren auf, 50 bis 80 cm tief. Ich gehe vor, den weiteren Weg zu erkunden. Tiefe Schlaglöcher, Mulden, dann gehen die Spuren weiter neben der alten Straße im Feld. Hier aber ist das Gras, oder besser gesagt Unkraut, meterhoch und die Spuren verlieren sich. Die alte Straße mit Baumreihen an den Seiten ist ebenfalls verwachsen. Meterhohes Unkraut, dicke Äste umgestürzter Bäume machen die Straße unbefahrbar. Der Taxifahrer fährt seinen Lada durch diesen Dschungel. Nur das Wagendach ist noch zu erkennen. Endlich lässt er den Wagen stehen, und nun gehen wir westwärts durch hohes, nasses Gestrüpp. Die Drojewiesen bis zum Wald, mit riesigen Weidensträuchern bestanden, vermitteln einen unbekannten Eindruck. Im Nordosten wird ein Wald mit hohen Bäumen sichtbar. Sind wir vielleicht zu weit nach Norden gekommen? Die Gegend erscheint unbekannt im trüben Licht des Tages. Aufgeschichtete Betonplatten lassen einen Futterlagerplatz erkennen. Am Wäldchen vorbei führen die Wegspuren über einen ausgetrockneten Bach. Sollte dies die Droje sein mit dem Dorfteich? Aber im Dorfteich wachsen hohe Bäume.
Beim Absteigen ins Bachbett ist die gemauerte Brücke zu erkennen. Es ist tatsächlich die Drojebrücke in Drojental. Doch die kleinen Wälder passen nicht in die Landschaft. Beim Blick von der Brücke nach Westen ist die Weggablung erkennbar, dazwischen hohe, sehr hohe Bäume. Zweifel über Zweifel. Der rechte Weg könnte zu unserem Hof führen, aber ein hoher Wald mit Bäumen, 10-20 m hoch, und einem undurchdringlichen Dickicht zerschlagen die Vermutung. Jedoch die überaus hohe Baumreihe am Waldrand könnte unsere Lindenhecke sein. Wo früher die Hofauffahrt, der Vorgarten, der Hofplatz war, ist hoher Wald. Das Unkraut und Gestrüpp ist meterhoch, die Bäume stehen dicht bei dicht. Mückenschwärme umkreisen uns und peinigen uns unablässig. Im trüben Licht dieses Dschungels kommen Fundamentreste zum Vorschein. Umgestürzte Bäume, Rankengewächse und immer wieder die Mücken erschweren unser Vorankommen. Fundament- und Mauerreste des Wohnhauses können wir entdecken. Der Stall zur rechten wird durch eine stehende kleine Mauerecke, gefügt aus Naturstein, gut erkannt. So durchstreifen wir das ganze Fundament des Stalles. Auch der Hofplatz sieht urwaldähnlich aus. Im Dunkel dieses Waldes finden wir gegenüber die Fundamente des zweiten Stallgebäudes besser erhalten. Rotes Ziegelmauerwerk, ca. 1 m hoch auf der linken Seite des Stalles. Da ein ganz markanter Punkt: Im Mauerwerk wird von außen ein kleines gemauertes Gewölbe erkennbar, daneben in der Wand ein eiserner Ring. Hier hat früher der Hofhund Tommie seinen Platz gehabt. Ich bin überwältigt, in dieser Wildnis, diese Entdeckung gemacht zu haben. Zerstochen von blutgierigen Mücken, durchnässt vom feuchten Gestrüpp kämpfen wir uns durchs Unterholz. – Und dann steht im Bereich der Hofauffahrt eine wunderschöne Lilie in diesem Dschungel. Unfassbares ist auf uns eingestürmt.
Durch hohe Brennnesseln hindurch bahne ich mir einen Weg zur früheren Schule. Das Fundament ist gut erkennbar. Die Hecke ums Schulgebäude ist inzwischen 15 m hoch geworden und höher.
Nun gehe ich über die Dorfstraße zur Brücke, den „Berg hinauf“. Wo früher Gärten und Häuser standen, steht dichter Wald. Das alte Pflaster der Straße ist in den Fahrspuren gut zu erkennen. Bei der Mühle drehe ich um. Beim Rückweg bin ich doch sehr betrübt. Auf unserem Weg von Birken hierher und in Drojental haben wir keinen Baum, kein Dorf, keinen Menschen und kein Tier gesehen.
Wir gehen wieder in Richtung Tiesfelde. Der Hof von Franz Keddigkeit ist mit meterhohen Brennnesseln bedeckt. Die Bäume im Scheunenbereich und im Garten haben sich zu Riesen entwickelt. Da steht ein kleines viereckiges Wäldchen mit hohen Bäumen. Durch meterhohes nasses Gras komme ich zu unserem Friedhof. Jedoch ist auf ihm kein Grabstein zu finden, statt dessen Verwüstungen, ausgehobene Gräber und mehr. Dies hat mich völlig erschüttert.
Mühsam kämpfen wir uns durch die feuchten Drojewiesen durchs meterhohe Gras zum weit entfernten Taxi. Wir alle, die Dolmetscherin, der Taxifahrer und ich sind völlig durchnässt und verschmutzt und von Mücken arg zerstochen.

Dies ist wohl ein Tag, den ich nie vergessen werde, und dabei hatte ich mir das Wiedersehen mit der Heimat nach 48 Jahren doch ganz anders vorgestellt.

Dieter Keddigkeit (Juni 1993)


Auszüge aus einem Buch von Georg Lenuweit

Von Ostpreußen bis in Mecklenburgs Nossentiner Heide - Vom Kindheitstraum Förster zum Staatsjäger bei Honecker (2008)