Portal:Kiefernberg/Geschichte/Ein Auszug aus der "Chronik des ostpreußischen Grenzkreises Schloßberg/Pillkallen", Band 2, 4. Auflage 2004, von Herbert Sebeikat, † 11.April 2009, Bericht von Paul Uschdraweit, Die „Schlacht bei Eggleningken“
Die „Schlacht bei Eggleningken“
Ein Auszug aus der Chronik des ostpreußischen Grenzkreises Schloßberg/Pillkallen, Band 2, 4. Auflage 2004, von Herbert Sebeikat, † 11.April 2009,
aus dem Bericht von Paul Uschdraweit, Landrat des Kreises Pillkallen
Genehmigung für die Veröffentlichung in GenWiki im „Portal Pillkallen“ unter der Auflage der ausschließlich nicht-kommerziellen Nutzung liegt von der „Kreisgemeinschaft Schloßberg/Ostpr. e.V. in der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Rote-Kreuz-Straße 6, 21423 Winsen/Luhe“ schriftlich vom 19.03.2011 vor.
Im 1. Weltkrieg war Kiefernberg (Eggleningken) Kampfgebiet. Während der Kämpfe wurden u.a. auch Gebäude der Höfe Wicker und Ramminger zerstört. Aus den Aufzeichnungen des Bauern Emil Ramminger (geb. 1894), zusammengestellt von Heinz Ramminger:
Bild 1, Emil Ramminger aus.. , Seite 185 wird noch gesucht!
- „Dieser unser Hof war, als meine Eltern von der Flucht zurückkamen, auch nur noch eine Ruine, zerschossen und abgebrannt. Geblieben war den Eltern nur das Notwendigste, das sie bei der Flucht mitnehmen konnten und nun zurückbrachten. Noch während des Krieges hatte mein Vater unseren Hof bis auf das Wohnhaus zum größten Teil neu aufgebaut. Nach Schluss des Krieges, als mein Bruder Otto und ich nach Hause gekommen waren, begann der Neubau des Wohnhauses, das 1920 fertig bezogen werden konnte. Mit Mut und Entschlossenheit und mit großzügiger Unterstützung durch den Staat waren Anfang der 20er Jahre die zerstörten Gebäude wieder aufgebaut.“
Ostpreußen, das bis zum Jahre 1944 von allen Kriegseinwirkungen des 2. Welt¬kriegs verschont blieb, wurde ab 1943 Zufluchtsstätte ausgebombter Großstädter. Unter diesen Evakuierten entstand die erste Unruhe, als 1944 die russische Front näher kam und alliierte Bomber ostpreußische Städte angriffen.
Emil Ramminger schrieb:
„Es war nach dem 20. Juni 1944, als bei uns durchsickerte, dass der Russe zu einer großen Offensive angetreten sei und dass an vielen Stellen die deutsche Grenze überlaufen sei. Das schien zuerst gar nicht glaubhaft, denn in Gesprächen mit Urlaubern, die kurz zuvor von der Front gekommen waren, hatte ich erfahren, dass der Russe dort ganz ruhig sei. Die Heeresberichte sprachen auch nur von vereinzelten Kämpfen und von kleinen Zurückverlegungen an einzelnen Stellen der Front, sogenannten Front¬begradigungen. Und doch: am 22. Juni 1944, dem dritten Jahrestag des russischen Feldzuges, des Einmarsches der deutschen Truppen in Rußland, hatte die große Offensive begonnen. Sie brachte, da die deutsche Front überall zu schwach war, diese auf große Strecken zum Einsturz und die Front war näher nach Deutschland herangekommen. Als dann vereinzelte feindliche Bombenabgriffe auf Tilsit, Insterburg und die Großstädte im Deutschen Reich erfolgten, geriet die Grenzbevölkerung in Unruhe. Namentlich die nach hier evakuierten Familien, meistens Frauen mit Kindern und ältere Leute. Diese waren von der Regierung (Partei) aus den Großstädten, hauptsächlich von Berlin in Ostpreußen untergebracht, um den andauernden feindlichen Bombenangriffen zu entgehen. Viele von ihnen hatten dabei alles verloren und nur das nackte Leben gerettet. Ostpreußen war bis jetzt von allen Kriegseinwirkungen verschont geblieben. Daher war soweit als entbehrlich bei allen Privat- und Staatsleuten Wohnraum von der Partei beschlagnahmt und für die Evakuierten zur Verfügung gestellt worden.
Die ersten Evakuierten erhielten wir im Sommer 1943 - Frau Fülster mit ihrem kleinen dreijährigen Sohn Reiner. Im Januar kam dann Frau Zander mit ihren beiden kleinen Töchtern, ihrer Mutter, Frau Fleischhauer, und dem Großvater. Frau Zander mit ihrer Familie war ausgebombt und hatte alles verloren. Es war daher verständlich, dass sich unter den Evakuierten eine besondere Unruhe bemerkbar machte, als auch hier Bombenangriffe erfolgten, denn es war ja ein Zeichen, dass die Front im Zurückweichen war. Allgemein hörte man bei den Evakuierten sprechen: „Wir fahren lieber wieder zurück nach Berlin, lieber lassen wir uns von den Bomben totschlagen. Alles, nur nicht den Russen in die Hände fallen.“
Frau Fülster packte ihre Sachen und fuhr mit ihrem Sohn zu ihrem Mann nach Berlin, der dort noch in
Bild 3, Bauernhof Emil Ramminger, Seite 186 wird noch gesucht!
der Wohnung war. Familie Zander blieb vorerst. Die Familie war zu groß, in Berlin hätten sie auch keine Unterkunft bekommen. Wir selbst hielten die ganze allgemeine Lage noch immer nicht für so gefährlich. Trotz allem ging der Alltag in der pflichtgemäßen Weise weiter. Die Heuernte war beendet, der Klee gemäht, aufgereutert und zum größten Teil auch schon eingefahren. Die Unruhe, die sich Ende Juni und Anfang Juli 1944 unter der Grenzbevölkerung bemerkbar gemacht hatte, flaute allmählich ab, zumal die Front ja noch sehr weit von der Grenze war. Die Heeresberichte des AOK (Armee - Oberkommando) von den Kämpfen an der Ostfront berichteten, dass die deutschen Truppen überall Herr der Lage sind und dass nur an einigen Stellen Frontbegradigungen vorgenommen würden. Verschiedentlich sickerte aber doch durch, z. B. aus Feldpostbriefen von der Front an Angehörige daheim, dass die Front an vielen Stellen von den Russen überrannt ist, dass vorübergehend die russische Offensive zum Stillstand gekommen ist. Natürlich wurden derartige Parolen nicht öffentlich verlautbar, denn man wußte nicht, ob sie auf Wahrheit beruhten. Und wenn schon, es war sehr gefährlich, derartige Parolen zu verbreiten. Man wurde abgeholt, verhört und eingesperrt. Dass aber die Parolen auf Wahrheit beruhten und die Front näher zum Einsturz gekommen war, sollten wir bald erfahren. Von unserem Bürgermeister, Fritz Räder, gleichzeitig Parteigenosse und Blockleiter, wurden wir, die selbständigen Bauern der Gemeinde zu einer Gemeindeversammlung bei unserem Gastwirt, Otto Theophil, eingeladen. Die Einladung wurde uns auf dem schnellsten Wege, am Montag, dem 16. Juli 1944, zugestellt und fand am selben Abend um 21 Uhr statt. Der einzige Tagesordnungspunkt: Einteilung der Gespanne zum Abtransport der in der Gemeinde befindlichen Evakuierten zur Verladung auf dem Bahnhof Schloßberg.
Nach 20 Uhr machte ich mich auf den Weg zu dieser Versammlung. Ich benutzte wie stets, wenn ich zu Fuß nach Kiefernberg ging, nicht die Hauptstraße, sondern den kürzesten Weg, der ungefähr 300 m unterhalb, westlich von unserem Hof begann und schnurgerade zum Dorf hinführte. Dieser Weg war noch ein Überbleibsel aus längst vergangener Zeit. Nach Überlieferungen von meinem Vater und Großvater waren bis zu den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts außerhalb der Dörfer keine einzelnen Bauernhöfe. Die Dörfer waren in sich geschlossen. Dies geschah seinerzeit aus Sicherheitsgründen. Mein Großvater, der 1819 oder 1820 geboren wurde, erzählte, als er noch ein Junge war, kam es verschiedentlich vor, dass zur Winterszeit einzelne Wölfe bis in die belebten Dörfer eindrangen, um sich eine Beute zu holen.
Bild 4, Besuch beim Pflügen, Seite 187 wird noch gesucht!
Zur Sommerszeit wurde damals das gesamte Vieh aller Bauern, so erzählte mein Großvater (geb. 1819 oder 1820), von ein oder zwei Hirten gemeinsam geweidet. Diese Viehweiden waren die Grünflächen (Wiesen) der Gemarkung, die von den Dörfern am weitesten entfernt lagen und einen recht hohen Wasserstand hatten. Wegen fehlender Entwässerung und Kultivierung ließen sich damals diese Flächen wirtschaftlich nicht nutzen. Eine Entwässerung und Kultivierung, wie sie dann in den späteren Jahren einsetzte und heute schon überall war, gab es nur ganz selten. Ein Teil dieser damaligen Viehweiden gehört jetzt zu unserem Land. Ein ziemlich breiter Grasweg führte zu den Viehweiden und hieß im Volksmund: der Trift (eine Abkürzung des Weges).
Zu dieser Trift, die heute nicht mehr halb so breit war wie damals und nur noch von den Bauern als Geh- und Fahrweg benutzt wurde, deren Land anreichte, hatte ich von unserem Hof aus einen schmalen Feldweg angelegt. Beim Hinwandern auf diesen Feldweg zur Versammlung, konnte ich rechts blickend unsere Weidegärten übersehen. Die abendliche Abkühlung war nach diesem heißen Julitag direkt wohltuend und erfrischend. Die Kühe grasten viel behaglicher als am heißen Tag, deshalb blieben bei uns in Ostpreußen die Viehherden während der ganzen Sommers¬zeit nachts in den Weidegärten. Im hintersten Weidegarten, der auch geländemäßig am niedrigsten war, stieg jetzt allmählich der Nebel auf. Eine Stille an diesem Juliabend. Der sich schon merklich hell gefärbte Roggen hatte seine schon recht schweren Ähren zur Erde geneigt. An einigen Stellen kamen die Roggenfelder bis zur Trift heran. Eine Ruhe und ein tiefer Frieden in der Natur. Kein Gedanke kam mir, dass dieses alles hier, hier wo deutsche Menschen jahrhundertelang von Generationen zu Generationen gelebt, gearbeitet und geschaffen haben, wo sie Freuden erlebt und auch Leid ertragen hatten, das ihre Heimat und ihr Zuhause war, auf ein Nimmerwiedersehen mit ihr, daraus vertrieben werden. Und doch! Was rechtlich niemals und auch von keinem als zu Recht vertreten werden kann, es geschah! In einem Zeitalter, in dem von Recht, hoher Kultur und Zivilisation gesprochen wird und es wohl auch ist, wurde zur Wirklichkeit, was vielleicht einmal im grauen Altertum für möglich gehalten wurde: Millionen Menschen wurden ihrer angestammten Heimat und ihres Eigentums beraubt und in alle Himmelsrichtungen verstreut.
Das dieses einmal Wirklichkeit werden sollte, kam mir beim Hingehen zu der Gemeindeversammlung nicht im Entfernsten in den Sinn.
Bild 5, Haushaltspass Seite 187 wird noch gesucht!
In unserer Gastwirtschaft, der einzigen in Kiefernberg, waren um 21 Uhr alle selbständigen Bauern versammelt. Fritz Räder (Bürgermeister), Otto Theophiel (Gastwirt), Ewald Reiner (Ortsbauernführer), Paul Friedrich (ein Vertreter für Noreikat, der vor paar Jahren gestorben war), Franz Kirstein, Otto Ehmer, Hermann Ramminger, Albert Licht, Franz Szieleit und ich, Emil Ramminger. Außerdem war von der Nachbargemeinde Urlau noch Hans Becker (Parteigenosse) anwesend. Der Bürgermeister und der Ortsbauernführer berichteten uns, daß wahrscheinlich in der nächsten Zeit die Evakuierten uns verlassen werden. Ein Termin dafür ist aber noch nicht festgelegt. Ein jeder, der auf seinem Hof Evakuierte hat, wurde verpflichtet, sobald es erforderlich wird, die Evakuierten und deren Sachen pünktlich zur Bahnstation nach Schloßberg hinzubringen. Von hier geht ein Transportzug ins Reich, aus Sicherheitsgründen für diese Leute.
Nach der Versammlung herrschte bei uns allen eine etwas gedrückte Stimmung, die darauf zurückzuführen war, dass eine gewisse Sicherheit bei uns in Grenznähe doch nicht mehr zu sein schien und die Gerüchte, dass die Front tatsächlich sich der Grenze genähert hat, auf Wahrheit beruhten. Wir, die im Abbau, in Richtung der Gemeinde Steinershöfen wohnten, gingen zusammen bis zu dem Abzweig eines jeden nach seinem Hof. Das Gesprächsthema war die scheinbar doch recht unsichere Lage, in die die Grenzbevölkerung kommen kann und wird, wenn die Front zurückgeht. Albert Licht, der paar Jahre den Feldzug in Rußland mitgemacht hatte, dann lungenkrank geworden war und erst vor Monaten als untauglich aus dem Lazarett nach Hause entlassen war, sagte: „Wenn die Bolschewisten wirklich bis hier kommen sollten und ich keinen anderen Ausweg finde, so ist die letzte Kugel, die ich bei mir habe, meine. Lebend bekommen die Russen mich nicht.“ „Ich habe erlebt“, sagte er, „wie es mehreren meiner Kameraden ergangen ist als ich an der Front war. Horchposten (2 Mann) waren in der Nacht von den Russen geschnappt worden, morgens darauf lagen beide erschossen und zerstümmelt in der Nähe unseres Schützengrabens. Mit Stacheldraht war ihnen ein Schild umgewickelt mit der Aufschrift: „Ihr deutschen Hunde, hier habt ihr eure Kameraden wieder!“ Die Erzählung von Albert Licht gab uns allen noch mehr Anlass zum Nachdenken, und in Gedanken versunken ging jeder zu seinem Hof. Am nächsten Morgen kurz nach 4 Uhr stand Ewald Reiner, unser Ortsbauernführer, beritten vor unserem Wohnhaus und überbrachte den Befehl, daß alle Ostarbeiter aus der Gemeinde zu Schachtarbeiten an die Grenze in Marsch zu setzen sind.
Bild 6, 002436, Seite 188 wird noch gesucht!
Der Sammelpunkt für alle um 7 Uhr ist im Dorf vor der Bürgermeisterei. Ein jeder Arbeitgeber hat seinen Ostarbeitern für zwei volle Tage Verpflegung mitzugeben. Um 7 Uhr steht an der Bürgermeisterei ein bespanntes Fuhrwerk, das mit den Ostarbeitern zur litauischen Grenze fährt. Maria aus Weißrußland, die uns vor einem Jahr vom Arbeitsamt Schloßberg als Arbeitskraft zugeteilt war, fing an zu weinen. Sie fühlte sich hier zu Hause, sie hatte für sich allein ihr schönes ruhiges Zimmerchen und jetzt? Eine Nichtbefolgung des Befehls war wegen der angedrohten strengen Bestrafung nicht möglich. Schweren Herzens packte Maria ihre Sachen sowie die von Mutti für zwei Tage eingepackte Verpflegung zusammen. Dann verabschiedete sie sich von uns und von unseren beiden französischen Kriegsgefangenen. Derselbe Tag brachte uns noch eine weitere Überraschung: Zur Mittagszeit erging der Befehl zum Ausschachten von Panzergräben an der litauischen Grenze an alle Kriegsgefangenen und am Abend für alle arbeitsfähigen Männer der Gemeinde. Spullen war der Sammelpunkt für alle Franzosen unseres Amtsbezirkes. Auf Leiterwagen fuhren die Schachtarbeiter über Schloßberg nach Schirwindt. Hier war der Treffpunkt für alle aus dem Kreis Schloßberg, Arbeitsgruppen wurden aufgestellt. Nach kurzer Rast ging die Fahrt weiter über die Grenze nach Litauen. Der Obmann der Kriegsgefangenen legte in Schirwindt bei der vorgesetzten Militärbehörde Protest ein, dass Kriegsgefangene außerhalb Deutschlands zu Kriegshandlungen herangezogen werden sollten. Die von der NSDAP angesetzten Schachtaktionen hatten den Zweck, eine Verteidigungsstellung auszuheben, was für Kriegsgefangene nach internationalem Recht nicht zulässig ist. Der Einspruch des Obmanns hatte Erfolg. Noch am selben Tag kehrten alle Kriegsgefangenen an ihre Arbeitsstellen im Kreis Schloßberg zurück.