Landkreis Neisse/Fluchtberichte

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
  • Vorbemerkung: Rechtschreibung und Formulierungen sind so belassen worden, wie sie in den Berichten stehen.


Flucht und Vertreibung aus Giersdorf und umliegenden Dörfern, Herbert Melcher (1928 - 2019): Austreibungen aus Giersdorf

Die erste Austreibung aus Giersdorf:

Sie vertrieb die Deutschen aus ihren Häusern, damit diese von den Polen in Besitz genommen werden konnten

Ein Holzkreuz am Straßenrand „…Ein großes Holzkreuz, als Symbol des Todes und des Gedenkens, steht auch an der Böschung der ehemaligen Reichsstraße 115 in Schlesien, Strecke Neisse-Ziegenhals unweit der Ortschaft Preiland, heute Przelek. An dieser Stelle geschah am 29. Juni 1945 ein grausames Minenunglück.

Am Vortag, dem 28. Juni 1945 führte die polnische Miliz die erste Austreibung durch. Betroffen waren die Dörfer Giersdorf, Borkendorf und Groß- Kunzendorf. Zwei Stunden nach der Bekanntmachung mussten alle Giersdorfer zur Registrierung beim Gasthaus Jahn sein. Pfarrer Kolbe, den man vom Bett seiner todkranken Mutter weggezerrt hatte flehte, bei seiner Mutter bleiben zu dürfen. Ein Milizer trat ihn so fest in den Hintern, dass er hinstürzte. Der Pfarrer sagte „Gott vergelts."

Als die Borkendorfer und Groß- Kunzendorfer in Giersdorf ankamen, setzten sich ca. 2000 Menschen über den Ziegenhal-ser Berg Richtung Osten in Bewegung. Sie hatten Angst, dass die Reise nach Rußland geht. In Ziegenhals war die Bielebrücke gesprengt und alle mussten durch das knietiefe Wasser gehen.Viele Handwagen blieben vor dem Fluß stehen. Hinter der Stadt ging es auf der Reich-straße nach Westen, über Deutsch-Wette Richtung Neisse weiter. Das erste Nachtlager war eine nasskalte Wiese vor Alt-Wette.

Am nächsten Morgen waren alle durchgefroren und es ging ohne Frühstück bis zu der Stelle, wo heute noch das Kreuz steht. Der Milizer, der am Vortag den Pfarrer Kolbe getreten hatte, setzte sich auf einen Straßenstein, um sich eine Zigarette zu drehen. Als er damit fertig war, sprang er vom Stein herunter auf eine Mine. Nach der Detonation lag er tot an der Böschung, beide Beine abgesprengt- „Gott vergelts".

Ein Pferdewagen, auf dem alte Leute und Kinder saßen, wurde zerrissen. 24 Personen vom Treck sind getötet worden. Aus Giersdorf starben 6 Erwachsene und 3 Kinder. Schwerverletzt wurden 5 Erwachsene und 2 Kinder, die man auf Langer Richard's Milchwagen ins Neisser Krankenhaus gefahren hat.

Nachdem die verstörten Menschen Neisse erreichten, kamen Frauen mit Kleinkindern in eine Reithalle in der Friedrichstadt. Doch die meisten mussten im Freien oder Katakomben kampieren, ohne Verpflegung. In Kellern der Umgebung lagen Kartoffeln, doch darauf haben Leichen gelegen. Viele erkrankten, hauptsächlich Kinder. Mein kleiner Bruder, neun Jahre alt, hat auch Kartoffeln geholt, aber zum Glück keine vergifteten.

Etwa 10 Tage dauerte das Martyrium der ersten Austreibung im Neisser Lager, bis die Häuser und Höfe der Dörfer von den polnischen Umsiedlern besetzt waren. *)

Später haben meine Geschwister von den insgesamt drei schrecklichen Austreibungen berichtet. Die jüngeren Schwestern, fünf und zwei Jahre alt, haben danach viele Jahre gebraucht, bis sie es seelisch verarbeitet hatten

Immer wenn ich dieses Holzkreuz erblicke, sehe ich meine kränkelnde Mutter mit den sechs Kindern vor mir, die inmitten dieser Trecks der Entrechteten und Gequälten, gelitten haben. Keiner konnte ihnen beistehen. Mein Vater war bei Bad Kreuznach in amerikanischer Gefangenschaft, mein Bruder in Rußland und ich war in Gefangenschaft im englischen Waldlager bei Eutin.“ Kreuz des Friedens, bewahre uns vor weiteren Kriegen!

Nach der 1. Austreibung hat der Russe das Neisser Lager aufgelöst und die Deutschen wieder in ihre Dörfer zurückgeschickt. Ihre Häuser und Landwirtschaften wurden in der Zwischenzeit vollständig und endgültig von den polnischen Umsiedlern besetzt. In ihre Häuser sind die Deutschen von den polnischen Umsiedlern nicht mehr gelassen worden. Man hat sie einfach weggejagt mit den Worten: „Alles meine, alles meine.“ Manche Bauern und Landwirte konnten auf ihren Höfen als Knechte ohne Lohn arbeiten, weil viele Polen von der Landwirtschaft keine Ahnung hatten.

Die zweite und dritte Austreibung aus Giersdorf:

Man wollte die Deutschen endlich los werden. Die 2. große Austreibung am 23. Januar 1946 begann nach Mitternacht. Die Milizer schlugen mit den Gewehrkolben gegen die Haustüren, stürmten in die Wohnungen und brüllten: „Das Haus sofort räumen und zum Jahn-Gasthaus kommen." Meine Mutter ist von unserem Polen rechtzeitig gewarnt worden. Sie hatte mit meiner 19 jährigen Schwester Elfriede die 5 jüngeren Geschwister reisefertig gemacht. Alle hatten mehrfach warme Bekleidung an, denn es herrschte eine klirrende Kälte von über 20 Grad. Auf dem Dorfplatz standen frierend die Leute, die im überfüllten Gasthaus keinen Platz fanden.

Bei Tagesanbruch trieb man die Menschen trotz hohem Schnee zu Fuß in Richtung Bischofswalde. Es waren meist Frauen mit Kindern und alte Leute. Gehbehinderte und Kranke brachten sie auf Pferdewagen weg, damit sie auch diese los wurden. 16 Männer, die ihren Frauen hätten beistehen können, sind schon vor der 1. Austreibung verhaftet worden. Von diesen wurden 3 ermordet, 10 zu Tode gequält und 3 im Jahr 1948 schwerkrank entlassen.

Vor Bischofswalde ging es rechts weiter über Lentsch, Markersdorf, Alt-Wette zum Bahnhof Deutsch-Wette - insgesamt ca. 12 Kilometer. Hierher brachte man etwa 5000 Bewohner der Dörfer Giersdorf, Groß Kunzendorf, Borkenhof, Bischofs-walde, Lentsch, Markersdorf, Alt-Wette, Neu-Walde, Ludwigsdorf und Oppersdorf. Bevor die Verladung begann, wurden sie von Zivilpolen mit Billigung der Miliz beraubt und geplündert. Selbst getragene Sachen wurden vom Leibe gerissen, Kinderwagen und Taschen weggenommen. Eine Mutter hatte sämtliche Wäsche und Windeln des Kleinkindes in einer Tasche. Sie konnte dem durchnässten Mädchen keine trockenen Sachen anziehen. Aus Verzweifelung weinte sie, da halfen andere Mütter aus. Anschließend wurden sie zu je 80 und mehr Personen in Viehwaggons gepfercht. In Neisse wurden noch Wagen angehängt, dann fuhr der Zug mit 63 Waggons und vielen Unterbrechungen bis nach Linderode bei Forst. Weil sie die nahe Grenze zum russischen Sektor nicht passieren durften, blieben sie auf einem Abstellgleis ohne Lok stehen.

Im Elendszug gab es keine Toiletten, keine Waschgelegenheit und es gab keine Verpflegung. Die Erwachsenen und größeren Kinder gingen auf eine große, verschneite Wiese, wo die Häufchen gleich gefroren. Für die kleinen Kinder hatten manche Eimer, Nachtöpfe, oder andere Gefäße bei sich. Eine Wasserpumpe stand am Abstellgleis, oftmals war sie aber eingefroren. Durch Betteleien in der Umgebung haben sich viele verpflegt. Ab und zu gingen Polen am Zug entlang und boten Essbares zum Kauf an.

Fingerdick war der Raureif an den Innenwänden der Waggons. Die Kälte und der Hunger schwächte alle sehr. Zuerst starben alte Leute, dann Säuglinge und Kleinkinder. Die Leichen legte man neben die Gleise. Als es immer mehr wurden, fuhr man die Toten zum Massengrab auf einem Dorffriedhof. Das Elend in den überfüllten Viehwagen wurde täglich größer, Erkältungen, Erfrierungen, Rheuma und die Ruhr brachen aus. Dazu kamen in der Enge noch die Kopf- und Kleiderläuse, die man sich gegenseitig absuchte.

Der kranke Hoheisel Julius lag eines Morgens tot neben meiner 8-jährigen Schwester Helene. Sie erzählte mir später von ihrem Schreck, und dass sie sich danach besser hinlegen konnte. - Viele konnten nur im Sitzen schlafen. Die Tochter Ilse der Familie Metzner Rudolf ist in dieser Zeit geboren worden. Man brachte Frau Metzner in ein bewohntes Haus, wo die Tochter zur Welt kam. Sie hat trotz der schlechten Bedingungen überlebt.

Nach 12 Tagen, am 07. Februar, ging der Transport weiter, aber nicht nach Westen. Das hatten die Alliierten trotz langer Verhandlungen nicht zugelassen.

Am 12. Februar kamen sie wieder in Neisse an. Unterwegs wurden bei jedem Halt die Toten in den Schnee neben die Gleise gelegt. Bei Kamenz blieb auch das Ehepaar Hermann und Pauline Ditsche aus Giersdorf im Schnee liegen. Die Söhne konnten später nie erfahren, wo sie begraben wurden.

Insgesamt soll es bei der 2. Austreibung ca. 250 Tote gegeben haben. Von Neisse aus mussten die geschwächten Menschen im hohen Schnee und der Kälte zu Fuß in ihre Dörfer gehen.


Die 3. endgültige Austreibung erfolgte am 10. Juni 1946, nachts um 3 Uhr.

Im Morgengrauen gingen die Menschen wie zuvor zu Fuß die 18 Kilometer über Lentsch, Markersdorf, Preiland nach Neisse. Ankunft 14 Uhr auf einer Wiese mit kleiner Halle. Diesmal waren die Polen etwas menschlicher. Sie stellten mehr Fuhrwerke zum Transport kranker und geschwächter Leute. Nach einer Nacht im Freien, in der ein starker Gewitterregen alle total durchnässte, wurden sie am 11. Juni wieder in Vieh-waggons ohne Sanitäranlagen verladen. Vorher wurden sie registriert und einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen

Dann, - Gott sei Dank - fuhr um 24 Uhr der Zug ab in den Westen.

Am 13. Juni erreichten sie Kohlfurt vor der Sowjetischen Zone zur Entlausung, am 14 Juni zur Registrierung in Ülzen und am 16 Juni 1946 waren sie laut Anmeldeausweis in der Stadt Wunstorf – Ende der Odyssee und endlich in der neuen Heimat.

Ein Transport ging nach Ostfriesland, einer nach Wunstorf in den Raum Hannover und einer in den Vorharz, Raum Duderstadt.

Von 1945 bis 1948 starben in Giersdorf auf der Flucht, nach Verschleppungen und bei den Austreibungen 84 Zivilpersonen durch Erschießungen und Misshandlungen, sowie an Hungertyphus und Entkräftung. Dies geschah alles nach Beendigung jeglicher Kriegsgeschehen, also in sogenannter Friedenszeit.

Diese Schilderungen sollen die Missstände jener Zeit und die Leiden der Dorfgemeinschaften vor 65 Jahren aufzeigen. Es ist zu bedauern, dass im Krieg und in der Nachkriegszeit von beiden Staaten viele Untaten begangen wurden. Aber wir müssen beiden Völkern Dank sagen, dass kein bleibender, gegenseitiger Hass entstanden ist. Ein immerwährender Friede soll uns in der „Europäischen Gemeinschaft" Glück, Lebensfreude und beidseitige Achtung erhalten.


Ich, Herbert Melcher, war in der unseligen Zeit nicht in Giersdorf, deshalb bestehen meine Aufzeichnungen aus Schilderungen meiner Familie, Berichte der Familie Raczek und Frau Gisela Hannibal, geb. Rieger, von Frau Liebe, geb. Heinold und vielen anderen Personen aus Giersdorf. Überörtlich von Dr. Manfred Schubert, sowie vom ehem. Mühlenbesitzer Rinke aus Bischofswalde.

Quelle: Der Bericht erschien im Neisser Heimatblatt, April 2010


Flucht aus Bischofswalde Kreis Neisse

Fluchtwege der Familie Josef Rinke, niedergeschrieben von Joachim Rinke vom 19.03.1945 – 23.05.1945

Vorbemerkung: Josef Rinke (1888 - 1969 ) war Müllermeister in Bischofswalde. Mit ihm auf der Flucht waren seine Ehefrau Klara, geb. Prießnitz, die Kinder Christa (16 jährig) und Felicitas (13 jährig). Sohn Joachim (18 jährig) kam in ein russisches Lager.

  • 1945

Ein neues Jahr nimmt seinen Anfang, was wird es uns bringen? Den Sieg oder Untergang! Ich bin bei flotter Musik gut ins Neue Jahr gekommen. Begonnen hat es gut, wie wird es ausklingen?

06.01. Aus Zeitung und Radio entnehmen wir, dass der Russe zwischen Warschau und Przemgsl zu Angriff angetreten ist und seine Panzer an verschiedenen Stellen weit durchgebrochen sind.

08.01.Russische Panzerspitzen sind in Czenstochau eingedrungen. Der Volkssturm wird den anstürmenden Massen entgegen geworfen. Die in monatelanger Arbeit hergestellten Verteidigungsstellungen sind von den Russen überrannt.

15.01. Der Russe steht an der schlesischen Grenze. Wir fragen uns alle: ist es eine Kriegslist oder ist es das Ende?

18.01. Ich haue von Jablunkau ab, da ich sonst wenig Aussicht habe, nach Hause zu kommen. Alle Züge sind mit Flüchtlingen aus Ost-Oberschlesien überfüllt. Es müssen Sonderzüge eingesetzt werden. In den Zügen ist es kalt und draußen tobt ein eisiger Schneesturm. Es ist so grimmig kalt, dass schon kleine Kinder in den Armen der Mütter erfroren sind. Das Elend ist unbeschreiblich, Kinder suchen ihre Eltern, Eltern wiederum ihre Kinder.

19.01. Früh um zwei Uhr treffe ich in Deutsch-Wette ein. Da der Wartesaal voll ist, entschließe ich mich, die acht Kilometer zu laufen, trotz des Schneesturms. Um vier Uhr bin ich glücklich daheim angelangt und alle sind froh, dass ich da bin. Den ganzen Tag über verkehren keine Züge, da alles verweht ist. Also war es gut, dass ich gelaufen bin. Christa ist schon einen Tag vorher aus Ratibor eingetroffen.

25.01. Irmgard und Hanna aus Ratibor treffen ein, sie wollen weiter nach Wien. Der Russe steht an der Oder. Endlich ist der Widerstand entgegengesetzt worden.

28.01. Ich fahre Irmgard und Hanna nach Ziegenhals. Sie wollen unbedingt nach Wien. Am Bahnhof treffe ich Volkssturmmänner aus Bischofswalde, Borkendorf und Steinberg. Sie waren zwischen Kattowitz und Bielitz eingesetzt und hatten große Verluste gehabt. Herr Hanel bringt die Nachricht, dass Paul Böhm gefallen ist. Ich nehme sie im Schlitten mit, worüber sie sehr froh sind, denn wochenlang haben sie weder Schlaf noch Ruhe gehabt.

30.01. Um ½ 11 Uhr sprach der Führer aus dem Hauptquartier. Leider konnten wir die Rede nicht hören, da kein Strom da war. Aber am nächsten Tag konnten wir sie in der Zeitung lesen. Er macht uns wieder Mut und Hoffnung!

03.02. Heute Morgen begann der Russe einen Angriff aus dem Brückenkopf Brieg.

04.02. Der Russe hat bei Brieg seinen Brückenkopf in südlicher Richtung erweitert.

05.02. Grottkau ist überraschend in russische Hand gefallen. Die Bevölkerung hatte keine Zeit zur Flucht.

06.02. Der Tross einer Panzerabwehr Abteilung, die vorher in Bösdorf lagen, nimmt in unserem Dorf Quartier. Sie bringen die Nachricht mit, dass der Iwan mit seinen Panzern kurz vor Bösdorf steht. Die Tannenfelder (Verwandtschaft: Milsch) sind vom Russen überrollt.

07.02. Panzerjäger, Pioniere und Infanterie, die in den Neisser Kasernen zur Ausbildung sind, werden zum Gegeneinsatz eingesetzt.

08.02. Heute bekommen wir Einquartierung: drei Pioniere. Sie waren zuletzt in Rauden eingesetzt. Sie erzählten auch viel über die tapferen Hitlerjungen aus dem Industriegebiet. Diese 14 -16 Jahre alten Jungs werfen sich den anstürmenden Panzern mit Panzerfäusten entgegen, um sie dann aus nächster Nähe zu erledigen. Heute ist das erste mal Artilleriefeuer zu hören.

09.02. Die Pioniere kommen zum Einsatz. Wir erfahren, dass der Russe bis Grottkau zurückgeworfen wurde . Aus den Ortschaften wo der Iwan sechs Tage gehaust hat, kommen schreckliche Nachrichten. Alle Frauen und Mädels wurden vergewaltigt. Männer und Mütter wurden gezwungen, dem bestialischem Treiben zuzuschauen. Wer sich diesen Schandtaten wiedersetzte, wurde zu Tode geprügelt oder erschossen.

10.02. Heute müssen Hans und neun weitere Jungs vom Jahrgang 1928 zum R.A.D. (Reichsarbeitsdienst) einrücken.

20.02. Das O.K.W. (Oberkommando der Wehrmacht) meldet: zwischen Bielitz, Schwarzwasser und nördlich Ratibor die Lage unverändert. Voller Abwehrerfolg bei Strehlen und Kant. Die Besatzung von Breslau verteidigt sich entschlossen. Heftige Abwehrkämpfe von Lauban bis Guben.

01.03. Ich war heute in Neisse. Am Nachmittag wurde die Stadt mit Bordwaffen beschossen. Die Bevölkerung wird aufgefordert, die Stadt zu verlassen. An den Stadteingängen sind Panzer-Sperren und Verteidigungsgräben gebaut. Auch in den Dörfern wird eifrig geschanzt.

11.03. Heute hören wir wieder Artilleriefeuer. Wir sind aber darüber nicht weiter aufgeregt. Abends feindliche Lufttätigkeit, Bordwaffenbeschuß in Richtung Neisse.

14.03. Den ganzen Tag über ist es ruhig, kein Schuss, kein Flieger stört die Ruhe vor dem Sturm. Ein Treck aus Groß-Briesen, die zuletzt in Nowak lagen ist angekommen. Sie haben zum Teil schon die wütenden Russen kennen gelernt. Von Ihnen will keiner mehr lebend in ihre Hände fallen.

15.03. Um vier Uhr setzt schlagartig Artilleriefeuer ein. Wer greift an? Wir hoffen, dass es unsere sind. Die Schlacht hat eine Ausdehnung von Grottkau bis Krappitz angenommen. Heftige Luft-Kämpfe und Tiefangriffe konnte ich vom Steinberg aus beobachten. Der Russe versucht das Staubecken zu treffen. Neisse und die umliegenden Dörfer sind bombardiert worden.

16.03. Heute hören wir das Artilleriefeuer besser, da die Geschützstellungen zurückverlegt worden sind. Früh kamen die Tannefelder und Bösdorfer an. (Milsch und Jahnel) Sie sind in der Nacht gefahren wegen den Tieffliegern. Der russische Angriff ist im Abwehrfeuer unserer Waffen zusammen gebrochen. Deutsche Gegenmaßnahmen sind im Gange. Am Abend sehen wir Neisse brennen und in Richtung Front hin und wieder Leuchtkugeln und Leuchtspürgeschosse. Neisse wird von Zivilisten vollständig geräumt, auch die Ortschaften vor Neisse.

17.03. Der Russe drückt von zwei Seiten auf Neisse. Er steht kurz vor der Stadt. Auch heute kommen die Flüchtlinge aus Neisse-Neuland und den umliegenden Ortschaften. Wir sind in Aufregung: wird man den Angriff aufhalten? Abends sehe ich vom Kirchberg aus das brennende Neisse und ein Feuerschein in südlicher Richtung, das kann nur Neustadt sein! Sollte derRusse wirklich schon so weit vorgedrungen sein? Daheim bekomme ich die Ahnung bestätigt, dass der Russe vor Neustadt steht. Wir haben eine unruhige Nacht. Das Artilleriefeuer ist so stark, dass die Fenster klirren.

18.03. Um drei Uhr werden wir schon wieder rausgeworfen aus dem Bett. Eben kam durch Telefonanruf der Räumungsbefehl. Der Bürgermeister hat es aber nicht so eilig, denn jetzt in der Dunkelheit, dem Regen und der mit Flüchtlingen aus den Nachbarorten vollgestopften Straßen würde es nur eine große Verwirrung geben. Also wird noch gewartet. Früh wurden gleich zwei Schweine geschlachtet, Brot gebacken und für die plötzliche Räumung alles vorbereitet. Die im Dorf einquartierten Flüchtlinge müssen weiter, damit bei plötzlichem Aufbruch kein großes Durcheinander geschieht. Am Nachmittag wurden Unmassen von Flugblättern der Russen abgeworfen. Auch sind in der Nähe Bomben gefallen. Das Telefon ist den ganzen Tag nicht zur Ruhe gekommen. Stündlich wurde Lagebericht durchgegeben.

19.03. Heute ist es etwas ruhiger, obwohl der Russe schon vor Ziegenhals und Ottmachau steht.


19. März 1945: Aufbruch zur Flucht

Mittag kommt der Kreisleiter. Er ist immer noch zuversichtlich! Um ½2 Uhr kommt plötzlich der Befehl, dass bis um fünf Uhr das Dorf geräumt sein muss. Wir saßen grade beim Mittagessen als uns die Nachricht ereilte. Mit dem Appetit war es vorbei. Keiner brachte mehr einen Bissen hinunter. Nun heißt es den Wagen mit den notwendigsten Sachen zu beladen. Auch wurden uns Fam. Mehlich und Fam. Ambros zugeteilt. Also waren für 15 Personen Bekleidung, Verpflegung, für die Pferde Futter und verschiedene Gebrauchsgegenstände aufgeladen. Wie uns zumute war, kann nur der empfinden, der weiß was es heißt, Haus und Hof zu verlassen. Wer weiß auf wie lange? In den Ställen steht das Vieh, in der Mühle liegt Getreide und Mehl! Was wird aus dem alles werden? Um siebzehn Uhr steht der Wagen abfahrbereit auf der Straße. Er ist bis obenhin beladen. Hinten haben wir noch die Kutsche angehängt, auch die ist voll. Die Pferde Fritz und Lotte werden im Gebirge schwer weiter kommen. Auf der Landstraße von der Moorebrücke bis zum Vorplatz beim Schroth Bäcker sammelten sich die Fuhrwerke. Der Treck nahm seinen Lauf! Es geht los in Richtung Rothwasseer. Um 22 Uhr treffen wir dort ein und übernachten das erste Mal auf der Straße. Es wurden 15 Km zurückgelegt.

20.03. Noch vor Tagesanbruch, um vier Uhr, geht es weiter über Friedeberg , Schwarzwasser nach Setzdorf. In Schwarzwasser gibt es einen längeren Aufenthalt. Eine Eisenbahnschranke ist drei Stunden geschlossen. Während der Zeit greifen russische Bomber Weidenau an. Obwohl die Straße vollgestopft mit Trecks ist, lassen sie uns ungeschoren .In Setzdorf angekommen geht die Suche nach Quartier für uns selbst und die Pferde los. Wir finden Quartier in einer Tischlerei: du schlafen dort in der Werkstatt auf den Hobel-Spänen. Auch für die Pferde war nichts Besonderes zu finden, also wurden sie im Hof derTischlerei angebunden. Ich selbst bleibe beim Wagen, der im Dorf beim Kalkwerk steht. Gegen 23°° Uhr kam Vater zurück. Er war am Morgen mit Förster nach Hause gefahren. Daheim hat sich nicht viel verändert. O.T. hat Quartier bezogen, die bald eifrig plünderten. Auch sind noch Leute im Ort geblieben, sie wollen nicht raus!.

21.03. Mutter hat heute ein gutes Quartier für uns besorgt. Auch die Pferde können dort untergebracht werden - in der Scheune eines Lehrers. Wir kommen bei einem Häusler unter. Der Mann ist gelähmt, es sind sehr nette Leute. Vater ist heute früh wieder nach Hause gefahren. Er hat Michael mitgenommen. Sie wollen wieder mahlen. Gestern wurde der Deutsch-Wetter Treck von Flugzeugen angegriffen. Die Bomben gingen, Gott sei Dank, daneben. Auch hier ist das Artilleriefeuer zu hören.

Webseiten

Paul Fieweger – Austreibung im Kreise Neiße von Juni 1945

http://www.silesia-schlesien.com/index.php%3Foption%3Dcom_content%26view%3Darticle%26id%3D196:paul-fieweger-austreibung-im-kreise-neisse-von-juni-1945-

Alfred Köhler - Die letzten Tage von Markersdorf und Altwette

https://www.yumpu.com/de/document/view/21272176/die-letzten-tage-von-markersdorf-und-altwette-ortschronik-alt-wette

Hilde Kretschmer - Erinnerungen an die Flucht 1945/46 (Riemertsheide)

http://www.heimatverein-langen.de/index.php?article_id=45