Der Kinderwagen

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Der Kinderwagen

Von Gerhard Krosien

Wo Kinder kommen, gibt es - zumindest in Deutschland – meistens auch einen Kinderwagen. Allerdings sind heutzutage junge Frauen oder Männer auf der Straße zu sehen, die ihr Baby in einem Tuch oder besonderen Tragesitz vor oder hinter dem Brustkorb tragen. Diese Mode ist noch nicht sehr alt bei uns. Sie hat ihren Ursprung hier wohl im Zuzug junger Ehepaare aus Ländern zu suchen, in denen diese Art des Babytransports eher üblich ist. Auf diese Weise soll ein verstärkter Körperkontakt zwischen Eltern und Baby möglich sein (sagt man). Sei es, wie es sei! Wir waren vier Sprösslinge, und unser Kinderwagen reichte für uns alle! Musste er einfach!

Später fand unser Kinderwagen aber auch noch ganz andere Verwendung, als nur Kleinkinder zu transportieren. Auch war er längst nicht so komfortabel, wie es die Kinderwagen heutzutage sind. Oft sind das nämlich wahre Nobelkarossen! Richtige Statussymbole! Ob das kutschierte Baby etwas davon merkt? Oder befriedigt so was bloß den Dünkel bestimmter Eltern?

Unser Kinderwagen dagegen hatte nur ein aus Hartpappe gepresstes Oberteil in Grau, ein stabiles metallenes Gestell und vier mittelgroße Räder aus Speichenfelgen mit grauer Hartgummibereifung. Das Oberteil war mit Lederriemen am Gestell aufgehängt, sodass es gut, aber sanft schaukelte. Eine Griffstange zum Schieben oder Ziehen gab dem „Transporteur“ guten Halt. Ein zusammenklappbares Verdeck war zum Schutz vor Sonne und Regen da. Schließlich sorgte eine primitive Bremse für sicheren Stand. Und das war's auch schon!

Das Verdeck brauchten wir Bowkes nicht. Kurzerhand wurde es abmontiert und irgendwo hingeschmissen. Der Kinderwagen selbst war für uns aber ein tolles Spielzeug, nachdem auch das letzte der Kinder aus ihm herausgewachsen war, er also quasi seine „Pflicht“ getan hatte. Er musste dann beispielsweise als Rennwagen herhalten. Dabei wurde jedoch immer friedlich unter uns Bowkes ausgemacht, wer fahren durfte und wer schieben musste. Für den Fahrer jedes Mal ein Vergnügen, für den Schiebenden eine aussichtsreiche Anstrengung. Hat das Spaß gemacht!

Der beste Transporter für Sand, Steine und Grassoden zum Burgenbau war unser Kinderwagen, ebenso für Sträucher, die ja auch dafür herangekarrt werden mussten. Selbst flache Wasserlachen in unserer Kiesgrube überwand unser Gefährt zur Freude des jeweiligen Fahrers spielend, der dabei trocken blieb.

Bei solch rauer und häufiger Benutzung gingen mit der Zeit einige Teile des Kinderwagens kaputt. Zuerst brachen einige Stücke aus dem Oberteil heraus. Solcher Schaden wurde einfach mit grober „Flickschusterei“ durch uns selbst behoben, wenn das noch ging. Schlimmer war's schon, wenn etwas am Gestell brach. Dann waren sachkundige Arbeit und geeignetes Werkzeug vonnöten. Aber da fand sich immer jemand, der half.

Nur die Räder mussten ersetzt werden, wenn die mal demoliert waren. Reparatur? Unmöglich! Das kostete dann Geld! Und das hatten wir Bowkes natürlich nicht. Das kriegten wir auch nicht von irgendjemand! Dann war „London in Not“! Darum behandelten wir Bowkes die Räder auch stets besonders sorgsam!

Eines Tages aber ging es dann mit allem nicht mehr. So fand der Kinderwagen durch uns Bowkes immer weniger Beachtung. Schließlich geriet er in Vergessenheit. Sein „Wrack“ stand dann irgendwo in einer Ecke unseres Grundstücks herum und vergammelte mit der Zeit immer mehr.

Heutzutage gibt es so etwas nicht mehr! Viel zu pompös sind die Kinderwagen nämlich, als dass man sie irgendwo vergammeln ließe. Und teuer außerdem! Schon kurz nach ihrer „Besetzungszeit“ stehen sie, als besonders günstiges Schnäppchen gekennzeichnet, in einem „Secondhandladen“ zum Verkauf. Immerhin stellen sie immer noch einen erheblichen Wert dar! Und andere „Neubürger unserer Erde“ sollen doch auch in den Genuss ihrer geschätzten Qualitäten kommen! Zu einem Spielzeug, wie seinerzeit bei uns, darf der Kinderwagen heutzutage jedenfalls nicht mehr „degradiert“ werden! Dabei gab es zu unserer Zeit in jeder Familie viel mehr Kinder, für die er herhalten musste, als heute. Welch ein Jammer!